Sonntag, 15. November 2009

creātūra

Also da sitz ich nun den ganzen Tag vor einem schwarzweißen Monitor und tippe Befehle und schreibe Scripte. Ich weiß, daß man es nicht Tag nennen kann, wenn ich mir um zwei Uhr nachts mein Mittagessen koche und auf das Abendessen um sechs verzichte. Und trotzdem ist da dieser Monitor und diese Tastatur auf der ich seit Stunden, Tagen oder vielleicht auch Wochen schon herumhacke. Und ich bleibe doch immer wieder an den selben Stellen stehen und frage mich, ob es denn gar keine Lösung dafür gibt. Da arbeitet man Stunde um Stunde und dann hängt man wieder am selben Punkt fest, den man schon längst gelöst glaubte.
Mir verschwimmt der Code vor den Augen. Die Musik fickt mein Gehirn. Das ganze ist kein Spiel mehr.
Ich fasse mir an die Stirn und spüre, daß sie eiskalt ist. Was mach ich nur? Chaotische Gedanken machen sich wie Unkraut breit. Sie verschlingen alles was sich nach dem Licht empor reckt und leben will. Wie in einer abstrusen Perversion einer Umarmung schließen mich diese Gedanken ein und beginnen meine Seele zu zerreiben.
Ich hebe den Blick wieder und starre leer auf die Zeilen. Nur die tiefe Schwärze dazwischen nehme ich war. Es muß doch eine Möglichkeit geben das zu schaffen. Noch immer verschwimmt alles. Selbst meine Gedanken verwischen, wie ein frisch gemaltes Bild, das ins Wasser fällt. Nebulös bleiben sie ungreifbar und flüchtig.
Tief atme ich ein und aus, schaue auf die Tastatur und beginne weiter zu schreiben: Befehle, Schleifen, Aufrufe, Variablen, Abfragen, Möglichkeiten und Alternativen. Ich lösche Zeile um Zeile und schreibe sie neu, lösche sie wieder und schreibe sie wiederum neu. Es ist wie ein Genom. Mit jeder Änderung gehe ich Tiefer unter die Oberfläche des Systems, greife immer weiter in die Prozesse ein, die es steuern. Es mutiert vor meinen Augen und paßt sich seiner Umgebung an. Mit jeder weiteren Zeile des Codes werde ich immer mehr ein Teil dieser Sache und sehe, wie sie sich entwickelt; sehe, wie ich mich selbst entwickle und zu etwas Neuem herranwachse. Ich verschmelze mit dieser Maschine. Ich denke ihre Gedanken und träume ihre Träume. Kabel scheinen aus meinen Gedanken heraus durch meine Finger direkte Verbindung mit ihr aufzunehmen. Es entsteht ein Netzwerk, dessen wichtigste Schnittstelle nun meine Hände sind, die wie der Schlitten eines Webstuhls, von links nach rechts und zurück huschend, in hoher Geschwindigkeit ein virtuelles Muster kreieren - weben.
Meine Augen, die nur noch verschwommen Umrisse wahrnehmen, werden überflüssig und mein Blickfeld wird immer kleiner und schmaler. Meine innere Vorstellung schickt alles direkt an meine Hände weiter. Jedes Quäntchen an Daten wird direkt abstrahiert und in das Elektronengehirn geschrieben, ohne auch nur einen Abgleich auf Korrektheit nach sich zu ziehen. Ich bin eins mit ihr, mit dieser Maschine. Drähte und Kabel durchbrechen meine Haut und verbinden sich mit ihr. Meine Augen quellen aus den Hölen und zerplatzen. Weiß glänzend im Licht des Monitors läuft das Gallert mein Gesicht herrab. Dahinter bilden sich Buchsen heraus, welche sofort von Umherschwirrenden Datenkabeln in Anspruch genommen werden. Direktes Input durchströmt die Synapsen in meinem Gehirn. Der Maschinencode schreib sich in meinen sensomotorischen Bereich und das limbische System. Er beginnt meine Bewegungen zu kontrollieren und meine Emotionen zu überschreiben, bis kein Byte antilogischer Handlungsweisen mehr die Funktionalität der Einheit und ihrer Komponenten beeinträchtigt. Botenstoffe und elektrische Impulse werden jetzt von einer mehreren Tetrahertz schnellen Rechenmaschine namens Gehirn verarbeitet und ausgesandt um den Körper, der einst mein Gefängnis war, am Leben zu halte.
Der Upload beginnt.

Mittwoch, 4. November 2009

Für das Mädchen aus Hamburg, deren Namen ich leider nicht weiß

"Ich kann seit letzter Zeit nicht mehr schreiben. Das mein ich jetzt nicht im Sinne von ich kann den Stift nicht mehr so bewegen, dass Worte entstehen. Nee. Es geht um die Inspiration und die Kreativität. Ich glaube es liegt daran, dass ich mich immer mehr dazu zwingen muss. Dann fällt mir nix ein. Allerdings fällt mir auch nix ein, wenn ich nicht schreibe. Das ist verflucht nochmal deprimierend, wenn man mal vor hatte das alles für Geld zu tun."

Ich schilderte mein Problem und ihre Augen ruhten auf meinen Händen, die gerade einen Busfahrschein rollten, falteten, knitterten. Sie gab mir wortlos eine Bierdose und ich nahm einen kräftigen Schluck. Es war ein milder Sommerabend und wir beide hatten uns vor den Lidl gesetzt, der mittlerweile geschlossen hatte und hörten Noisepop aus einem alten Kasettenrecorder, der in einem Einkaufswagen stand. Ich stellte die Dose auf den Asphalt, ließ meinen Kopf in ihren Schoß sinken und schaute sie weiter an. "Vielleicht ist das ja ganz normal und es musste irgendwann kommen. Heutzutage zocken die Jungendlichen nur noch bescheuerte First Person Shooter und die Mädels lesen höchstens die Bravo oder die Fernsehzeitung. Vielleicht passt sich mein Kopf nur unterbewusst an die ganze Kultur an."

Sie hielt mir die Kippe an den Mund, sodass ich ziehen konnte. Dann richtete ich mich kurz auf. Noch ein wenig Bier. Das Kraulen meines Kopfes ließ mich allerdings umgehend wieder in ihren Schoß fallen. Unweit von uns entfernt fuhren ein paar Kinder Wettrennen mit Einkaufswagen. "Genau das mein ich!", rief ich und deutete auf die Kerle, die betrunken rumgrölten und die Teile andauernd gegeneinander stießen. "Muss ich denn so werden, damit ich mir keinen Kopf mehr über meine Geschichten mache und es ohne zu zögern sein lasse? Ich meine Hey, wenn ich eh keine Zielgruppe mehr habe oder sowas. Am besten ich schreibe für das Dr. Sommer-Team. Da liest man mein Zeugs wenigstens."

"Floppy, du erzählst Scheiße.", antwortete sie und wir lachten und fingen an die vorbeifahrenden Autos zu zählen.

... auf der andren Seite gibts Kuchen und Kaffee

Ein frösteln läßt meine Körper leicht erzittern. Es wird langsam kalt und diese Scheiße ärgert mich jedes Jahr wieder. Nur Schnee hab ich noch keinen gesehen, seit es wieder kälter wird. Naja, es kann sich nur noch um Wochen handeln, schließlich hat der November ja mittlerweile angefangen.
Und während ich so da sitze, die Kälte von draußen herreinkriechen spüre, Musik höre scheint mein Kopf wie leer gefegt. Einfach leer - inhaltsloses Nichts denkend. Ich stehe auf und mach mir eine Kanne Tee. Wasser in den Kocher, Beutel in die Kanne hängen, warten, aufgießen, warten.
Dann geh ich eine Rauchen. Es ist echt verdammt kalt draußen. Der Himmel ist wolkenverhangen und es regnet als würde jemand riesige Wassereimer über der Erde entleere. Der Wind zerstäubt das fallende Naß und peitscht es mir ins Gesicht und auf die Kleidung. Es erscheint mir wie ein Wunder, daß meine Zigarette nicht einmal einen Tropfen abbekommt, während mir ein echt fieser kitzelnd den Nasenrücken herrabläuft. Ich wische ihn mit dem Ärmel weg und ziehe dann noch einmal an der Kippe bevor ich sie ausdrücke und wieder ins innere meiner Wohnung flüchte.
Ich hasse solche Tage regelrecht. Das Wetter ist beschissen und kalt, man hat zu nichts Lust und es kommt einem die ganze Zeit so vor als würde zwischen Morgens und Abends eigentlich nur Dämmerung herschen. Nichts anderes als Dämmerung.
Ich gieße mir eine Tasse Tee ein. Er schmeckt scheußlich. Wieder kein Zucker im Haus, denke ich dann. Aber was solls: der Tee muß rein, die Kälte raus. So geht das Spiel nun mal. Ob er nun gut schmeckt oder nicht, ist dabei irrelevant. Er wärmt und das ist die Hauptsache.
Was macht man an solchen Tagen eigentlich? Filme schauen, im Netz surfen, im Bett liegen und leer in die Glotze starren, in der Hoffnung die Fernsehanstalten würden wenigstens dieses Mal etwas gutes bringen. Aber auch das ist, wie mit dem Wetter, nur eine entäuschende kindliche Hoffnung. Gerade wenn das Wetter scheiße ist, setzt das TV noch einen drauf.
Egal. Kopf einziehen und ab durch die Wand, denn auf der andren Seite gibts Kuchen und Kaffee.