Donnerstag, 30. September 2010

Tag Eins

"FUCK!" Der Schrei hatte mich aus dem Schlaf gerissen, auf der anderen Seite des Zeltes saß auch Max aufrecht in seinem Schlafsack und starrte in die Dunkelheit. Ich riss den Reißverschluss des Eingangs auf und fiel hektisch und noch immer fast blind, aber mit rasendem Puls aus dem Zelt. Ein leichter Nebel hing über der dunklen Szene, es war vermutlich etwa vier oder halb fünf Uhr morgens, die einzige Lichtquelle waren die noch glimmenden Holzscheite in der stählernen Feuerschale und in ihrem Licht sah ich verschwommen und schattenhaft zwei Gestalten miteinander ringen. Zwei Meter vor mir stürzte auch Tod aus dem Zelt, mit seinem riesigen Messer in der Hand, konnte aber offenbar auch nichts sehen. Als meine Augen sich an die Lichtverhältnisse und an den Nebel gewöhnt hatten, war der Kampf am Rand des Dachs bereits vorbei und Wach kniete über einem vielleicht 18 oder 19 Jahre alten Mädchen, hielt ihre Arme einfach mit einer Hand fest und winkte uns mit der anderen herbei.
Das Mädchen wehrte sich nicht und Wach ließ sie los. Sie kroch ein Stück von ihm weg und Tod setzte sich ihr in perfekter Psychopathen-Manier im Schneidersitz gegenüber, spielte mit seiner Klinge und starrte ihr ins Gesicht.
"Die hat mich tierisch erschreckt, tut mir leid dass ich euch geweckt hab." keuchte Wach. "Ich musste pissen und als ich grad am Abklopfen war, ist auf einmal die Kleine da auf der Leiter aufgetaucht."
"Wurdest du gebissen?", fragte ich sie, sie schüttelte stumm und verängstigt den Kopf und wandte den Blick schnell wieder Tod zu. Max hatte sich inzwischen auch aus dem Zelt gewunden und sogar die Zeit gefunden, sich seine Jeans anzuziehen. Jetzt tippte er Tod von hinten auf die Schulter und machte eine Kopfbewegung, die soviel sagte wie: "Is' gut jetz', mach dem Mädel nich' noch mehr Angst."
"Bist du sicher, dass du nicht gebissen wurdest?", fragte jetzt auch Wach noch einmal nach. Sie schüttelte wieder nur unsicher den Kopf. Wach seufzte und schaute uns der Reihe nach an, dann wieder das Mädchen und sagte: "Zieh dich aus." Sie starrte ungläubig. "Wir müssen uns sicher sein, dass diese kleinen Scheißviecher dich nicht gebissen haben", erklärte er, "und außerdem: Wir sind vier, du bist alleine, wir müssten nicht fragen, sieh es als Geste der Anständigkeit dass wir's tun." Offenbar sah sie das auch ein...

Es ist jetzt also Tag eins nach der nächtlichen Erweiterung unserer Truppe um ein 18 oder 19 Jahre altes Mädchen namens Katie. Lange überlegt haben wir nicht, sie ist clean, vergleichsweise gefasst und außerdem recht hübsch. Es regnet aus allen Wolken, sodass wir uns entschieden haben, heute nicht auf Futtersuche zu gehen und stattdessen Katie so auszustatten und einzurichten, dass sie uns keine Last ist, sondern vielmehr ein wertvolles Mitglied der Gruppe. So stellt sich auch endlich heraus, dass unsere gesammelten Materialien durchaus ihren Zweck finden. Sie wird in unserem bisherigen Vorratszelt schlafen, das bringt einige Umräumarbeiten mit sich, die wir noch nicht vollständig abgeschlossen haben, aber bis die Sonne untergeht werden noch ein paar Stunden vergehen. Tod steht schon ungeduldig vor mir, ich sollte mich also wohl lieber wieder an die Arbeit machen...

Mittwoch, 29. September 2010

Diese Situation

Diese Situation ist schon recht kompiziert, paradox, wenn nicht sogar total furchtbar. Kurze Momentbeschreibung? Man selbst, also in diesem Sinne ich, sitzt/liegt in einer verhältnissmäßig gut bekannten Wohung. Die Party war gut, das Gras hat gut gezogen, der Alkohol bahnt sich noch immer die Wege Richtung Kopf, doch die Emotionen itself, die kann man einfach nicht verrauchen oder vetrinken. Die lösen sich nicht auf. Die sind einfach da und man begreift nicht, wie man einen Heulkrampf vor allen bekommen kann, obwohl man nicht alleine, sondern mit zwei Mädels in einem Zimmer liegt. Nun, eine einfach zu beantwortende Frage: beide sind dem Schlaf verfallen. Vielleicht auch ganz gut so, sonst würde jeder die Memme sehen, die nachts um halb vier so etwas in die Tasten hämmert, um Kopfschmutz wegzuwischen. U2 mit "with or without you" sind nicht förderlich für diese Situation. Ich habe schon oft über erdrückende Gedanken geschrieben, daher eine Erklärung, welche auf die gegenwärtige Situation passt. Stellen Sie sich vor Ihr Kopf sei eine Flasche. Und die Gedanken sind kleine Schnapsgläser, die da hineingefüllt werden. So ein kleines Schnäppschen ist nicht schwer, doch je größer die Flasche ist, desto schwerer wird sie letzten Endes insgesamt. Wenn jetzt auch noch jede hineingekippte Flüssigkeit eine eigene Dichte hätte, sodass man sehen könnte, wie es geschichtet ist, so hat man ein Komplettbild an Gedanken, aber niemals den Anfang für alles. Klar könnte man unten anfangen. Oder direkt am Flaschenhals. Aber das würde nicht die Gesamtheit erfassen. Die Gesamtheit der Schichten lässt bei der GESAMTEN Betrachtung allerdings auch keine Zusammenhänge zu, sodass man letztlich total überfordert ist und mit einem V+ Energy einfach nur schweigend aufgibt. Zu viele Netze. Zu wenig Zusammenhang.

Zu
viele
Gedanken.

Zu
wenig
Kraft.

Ich zünde mit meinem Zippo einen Kopf aus der grellgrünen Acrylbong und fange an das Skalpell aus meinem Rucksack herauszusuchen.

Dienstag, 28. September 2010

Antiquität: Tangotausendtränentief

Schau's dir an!
Tritt' doch mal näher!
Blinkend, leuchtend, agressiv.
Hör' die Töne von weit her.
Tangotausendtränentief.
Braut steht da.
Und Bräutigamm.
Schnieke, nobel, wohlgehüllt.
In dem Bohrinsel-Exkrement
ergeben sie ein hübsches Bild.
Und auch die Torte, schaue dort!
Von Kühen, welche tot und mager
kaputtgemolken- und gescholten.
Auf weiten Weiden Schlachtviehmord.
Und Schwiegermama weinend rief:
"Wie viel Virginität dort tanzt!"
Doch der Sohn hat sie schon geranzt.
Tangotausendtränentief

Montag, 27. September 2010

Der ruinierte Anzug

Es war ziemlich warm - nein, eigentlich war es brütend heiß. Die Art von Hitze die dich ständig trinken, schwitzen und pissen läßt. Daß es leicht windig war änderte daran eigentlich rein gar nichts. Dieses Lüftchen - nennen wir es doch einfach mal so - transportierte die Hitze, statt sie abzukühlen.
Wir - Sam und ich - saßen in dem alten rostigen Stingray und aßen etwas. Staub wehte über den Highway, an dessen Rand wir in einer Haltebucht standen.
"Sam, sei mir bitte nicht böse, ja?" sagte ich nachdem ich den Bissen von meinem Hamburger heruntergeschluckt und etwas Corona nachgeschüttet hatte. "Du weißt, daß es sein mußte."
Er schwieg und wir aßen weiter. Anschließend warfen wir den Verpackungsmüll in die Wüste. Ich startete den Wagen und wir fuhren weiter.
Sam begann nun doch zu sprechen. "Nein, nein. Warum sollte ich dir auch Böse sein?" sagte er trocken. "Weil ich nie wieder einen so guten Hamburger essen werde? Weil du jeden in diesem gottverdammten, beschissenen Diner umgebracht hast und wir ihn dann auch noch verfickt nochmal abfackeln mußten? Oder vielleicht weil, dank deines absolut überflüssigen kleinen Massakers, mein neuer Anzug nun völlig ruiniert ist?"
Ich grinste. "Naja wegen deines Anzugs halt. Ich kauf dir auch bei Gelegenheit einen Neuen, wenn dich das wieder beruhigt, Mann."
"Ich weiß, Jim. Aber ... ach du weißt was ich meine." Er war noch immer etwas brummig.
"Und noch was. Was ich getan habe war keineswegs überflüssig. Es war absolut notwendig!"

Nun fragen sich sicher einige Leute: Wo war Max und wie ist eigentlich Sams Anzug jetzt genau versaut worden? Ersteres ist leicht und schnell zu beantworten. Max war an diesem Tag einfach nicht mit uns unterwegs weil er sich ganz in Ruhe den Super Bowl anschauen wollte. Die Sache mit Sams Anzug hingegen ist nicht so schnell erklärt. Da werde ich wohl etwas weiter ausholen müssen.

Wir waren gerade auf dem Highway unterwegs, einfach eine kleine Spritztour unternehmen, und wir führten eines unserer Gespräche über Filme - Sam und ich sind begeisterte Cineasten.
"Also du bist der Meinung 'Pulp Fiction' sei einer der wichtigsten Filme der Neuzeit?" fragte ich und fuhr direkt fort, "Ich will damit jetzt nicht sagen, daß du falsch liegen würdest, aber es interessiert mich einfach warum genau du das so siehst."
Sam lächelte und fing an zu reden: "Du mußt zunächst einmal Tarantinos Filme der beginnenden neunzehnneunziger Jahre im allgemeinen kurz betrachten. Sie sind für ihre Zeit einfach revolutionär. Das liegt weniger an den Plots im einzelnen, welche bei näherer Betrachtung nichts Weltbewegendes darstellen. Es sind vielmehr die Erzählweise, die Charaktere, die Art der Regie und die Struktur seiner Filme, die etwas besonderes daraus machen. Nehmen wir nun einfach mal den Bereits zum Thema gemachten 'Pulp Fiction'. Seine Erzählstruktur ist nicht Linear und trotzdem wird alles erst wirklich am Ende aufgeklärt. Den Hauptaugenmerk mußt du hier auch auf die Dialoge legen. Nimm zum Beispiel die Szene im Auto, in der sich Vince und Jules über Essen unterhalten. Das hat eigentlich gar nichts mit der Geschichte zu tun aber ..." - und da sah ich den Diner.
"Halt die Klappe, Sam. Ich hab Hunger."
"Hmn, und worauf?"
"'nen Royal mit Käse." sagte ich und wir beide lachten.
Ich fuhr auf den Parkplatz des Highwaydiners und und hielt den Wagen an. Wir stiegen gleichzeitig aus und setzten uns ebenso synchron die Sonnenbrillen auf. Die Luft zitterte vor Hitze. Es war ein verdammter Backofen mit Umluft.
Wir betraten also den Diner. Der Geruch von altem und frischen Zigarettenrauch mischte sich mit dem Duft von gegrilltem Fleisch. Wir gingen direkt zum Tresen und ich verschaffte mir in den wenigen Sekunden einen Überblick. Am letzten Tisch saß ein Pärchen, ein Trucker gammelte auf einem Barhocker und trank Kaffee zu seinem Rührei mit Toast, in der Küche waren zwei Angestellte, die kochten, und direkt hinter dem Tresen stand die Bedienung. Sie trug den von sehr viel Einfallsreichtum ihrer biologischen Erzeuger berichtenden Namen Emma.
Ich lehnte mich also gegen den Tresen und grinste Emma mit ihrem von Schminke verunstalteten Allerweltsgesicht und der zerlutschten Kippe im Mundwinkel an. Sie kam zu mir herüber getänzelt.
"Na Schätzchen, was kann ich für dich tun?" sagte sie so billig und nuttig, daß mir beinahe der Appetit vergangen wäre und ich ihr liebend gern einfach ins Gesicht gekotzt hätte. Wahrscheinlich hätte mir das sogar einen Heidenspaß gemacht.
"Ein Sixpack Corona und zwei dicke Hamburger mit Bacon, Käse und Mayonaise und ..." - ich wandte mich an Sam - "Und was willst du essen?"
"Ich nehm' das gleiche, Bro." sagte er knapp während er sich eine Zigarette anzündete.
"Okay ... Also vier dicke Hamburger mit Bacon, Käse und Mayonaise.
Ach, und alles zum mitnehmen bitte."
Emma quäkte unsere Bestellung durch die Küche und stellte mir den Sixer vor die Nase. Etwa zehn Minuten später fand auch eine braune Tüte auf der das Logo des Diners prangte ihren Platz direkt daneben.
"Das macht zwanzig Mäuse, Schätzchen." trällerte sie und ich griff in die Innentasche meiner Anzugjacke um meine Brieftasche hervorzuholen. Dabei fiel Emmas neugieriger Blick zu ihrem Unglück leider auf meine silbern glänzende Beretta und sie begann zu stammeln: "Oh nein, nein, nein. Ihr seid es doch. Ich war mir nicht sicher, aber ihr seid diese Killer aus den Nachrichten." Statt zwanzig Dollar in ihrer Hand hatte sie nun ein circa Eincentgroßes Loch in der Mitte ihrer Stirn und der Rest ihres kleinen Dummen Gehirns klebte an den Pfannen hinter ihr. Noch bevor sie zu Boden ging gab ich zwei weitere Schüsse ab und die Köche teilten Emmas Schicksal auf dem Fuß.
Ich ging durch den Diner, erschoß den Trucker eher beiläufig und stand dann direkt vor dem Pärchen.
Sie war total aufgelöst und weinte bitterlich. Er hingegen war einfach nur kalkweiß geworden.
"Bitte tun Sie uns nichts, Mister." wimmerte sie.
Sam stellte sich neben mich und pflaumte mich an: "Mann was soll diese abgefuckte Scheiße denn jetzt?"
"Es muß sein, Sam." sagte ich und erschoß erst das Mädchen dessen Kopf nach hinten gegen die Lehne schleuderte und dann in das Rührei vor ihm fiel. Als ich dem Jungen eine Kugel in den Kopf jagte explodierte sein Schädel und bespritzte uns von oben bis unten mit Blut, Knochensplittern, Hautfetzen und Gehirnmasse.
"Ups." sagte ich lachend, kratzte mir mit einem leicht schuldigen Lausbubengrinsen am Hinterkopf.
"Was heißt hier 'ups'?" fuhr Sam mich an. Jetzt war er wohl richtig sauer.
"Naja ... also ..." Ich schaute ihn an und konnte mir mein lachen nun wirklich nicht verkneifen. "Ich hatte wohl eines von Max' Explosivgeschossen geladen." Ich setzte mich an den Tresen und wischte mir das Gesicht mit Servietten ab. Dann schaute ich Sam an. Er sah zum schreien komisch aus - als hätte man ihn in einen Topf mit Tomatensoße und Spaghetti getaucht.
So also wurde Sams Anzug versaut. Und meiner übrigens auch.

Nach diesem kleinen Malheur zündeten wir den Diner an und fuhren fort, als wir sicher waren, daß er bis auf die Grundfesten abbrennen würde.

"Absolut notwendig!" wiederholte Sam meine Worte.
"Ja Mann!" sagte ich trocken. "Die Alte hatte uns erkannt. Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?"
"Ach Mensch. Immer das selbe mit dir."
Ich grinste ihn an. "Dude, du hast da immer noch etwas Hirn auf der Schulter."

Mittwoch, 22. September 2010

Ickarus IV

"Wissen Sie der Spruch, dass wir uns die Welt nur geliehen haben, stimmt eigentlich gar nicht.", warf mir der Soldat an den Kopf und riss mich aus der Apathie, die ich mit dem Anstarren der, durch die Stromschwankungen flimmernden Neonröhren verbrachte. Der Sicherheitsgurt, der sich in meinen Bauch schnürte und sich mit jeder Kurvenfahrt oder Bremsung weiter in meine Haut sägte, ließ meinen Körper wenigstens partiell aufwärmen denn die Eishölle dort draußen hatte meinen Körper betäubt und mich in einer grausamen Achterbahn zwischen Zittern und Lähmung gefangen gehalten. "Wir haben die Welt geklaut, aus den Händen Gottes gerissen und nun, wo die Erde so lebensfreundlich wie die Sonne ist, klopfen wir noch einmal an seiner Tür nur um mit Ickarus IV das gleiche zu machen." Ich lauschte wortlos dem Monolog des Soldaten während wir über die Oberfläche des vereisten Trabanten glitten. Als vor etlichen Jahren diese Mission begann war es in erster Linie die Idee, dass eine Kolonie, weit weg von der Welt existiert, in der Frieden durch strikte Sicherheitsmaßnahmen aufgrund einer Überzahl von Soldaten gesichert ist. Doch wer Macht hat nutzt sie. "Wenn man mitten im Krieg steckt", sagte ich vor mich hin: "hat man das Gefühl, dass man hunderte von Leben hat und jeden Tag neu stirbt."

Mein Herz schlug in viel zu unregelmäßigen Abständen, als dass es irgend eine Art von Ruhe ausstrahlen könnte. Früher, als ich noch auf der Erde lebte, im Kindesalter bei meiner Familie, hielt meine Mutter wenn ich traurig und verschrocken aus unruhigen Träumen erwachte ihre Hand auf meine Brust und das beruhigte mich immer. Doch egal wie sehr ich auch meine erforene Hand auf meinen Brustkorb presste, mein Herz pochte, summte schon fast. Vielleicht kam es mir nur so vor, denn mein Kopf arbeitete langsam durch die erdrückende Last. "Sie hätten dort draußen erfrieren können, Leutnant." Ich nickte und schloss für einen Moment die Augen. Sie geschlossen zu halten gestaltete sich kompliziert denn hinter meinen Augenlidern spielte sich ein Programm aus den Bildern von hungernden Kindern und entseelten Körpern ab. Schlaf wäre dennoch hilfreich. "Was haben sie dort draußen gesucht, Leutnant?" Ich hatte das Gefühl, dass er noch etwas von Eseln faselte doch das schien lediglich die Unterkühlung und der Schlafentzug zu sein. Die dünnen Fäden von Vater Schlaf umwoben mich und langsam glitt ich in die langersehnte Phase unterbewusster Zufriedenheit.

Dienstag, 21. September 2010

Tag 28 oder 29

Die Frau, die fast wie aus dem Nichts vor uns erschienen ist, hätte auch aus einem Cyberpunk-Film der Neunziger stammen können. Die schwarzen Haare waren komplett zu einem unsauberen, nach vorne geschwungenen, etwa zehn Zentimeter langen Irokesenkamm aufgestellt, dessen Spitze eisblau durch die Dämmerung flammte, ihre Schminke war bis auf einige schwarze Streifen verschwunden (ich bin mir aber nicht sicher, ob die schwarzen Muster neben ihren Augen und der scharfe dunkle Schatten auf ihrer Wange nicht vielleicht Tattoos waren). Ihre Kleidung wirkte verschlissen, wie alles das seit fast einem Monat dem täglichen Gebrauch, dem Wind und dem Regen ausgesetzt ist, aber scheinbar hatte sie irgendwann die Zeit gefunden, den Klamotten ihren persönlichen Stempel aufzudrücken und sie zur Überlebensausrüstung zu machen. Der von Blutflecken übersäte, ehemals stumpfgrüne Militärmantel hatte einen eingenähten Rückenprotektor und einen hohen Kragen, passend zu den hochgestellten Haaren, auf den Stiefeln verbanden sich stahlblaue, silberne und eisblaue Flecken von Sprayfarbe zu einem Camouflage-Muster. Der linke Stiefelschaft verschwand unter der schwarzen, aus anscheinend sehr starkem Stoff gemachten Baggy-Hose mit den rostroten Flecken, das rechte Hosenbein war vom Knie abwärts nur ein hinter ihrem, von einer engmaschigen Netzstrumpfhose bedeckten Bein baumelnder Stofffetzen, aber auch in den Hosenbeinen waren improvisierte Protektoren vernäht.Die Teile ihrer Bewaffnung, die wir sehen konnten beinhalteten einen sehr wertvoll (und sehr gefährlich) aussehenden Compoundbogen samt Pfeilköcher und einigen Pfeilen, außerdem mehrere Messer und eine kleinkalibrige Handfeuerwaffe am Gürtel...

Es ist Tag 28 oder 29, ich weiß es nicht genau. Wir sind immer noch zu viert, Max, Tod, Wach, Ich. Wir haben ein Basislager errichtet, auf dem Dach eines drei Stockwerke hohen Gebäudes. Drei Igluzelte, eine gespannte Stoffplane als Regenschutz, eine kleine Feuerstelle und Stacheldraht rundherum. Bis jetzt sind wir hier sicher, vor allem da man ohne eine Leiter das Dach nicht mehr erreichen kann. Wir konnten vor etwa einer Woche drei besoffene Idioten dazu anstiften, das Treppenhaus per Sprengung unpassierbar zu machen. An diesem Abend beschlossen wir auch, auf dem Dach ein festes Quartier einzurichten, die unteren Meter der Feuerleiter zu entfernen und durch eine irgendwo mitgenommene Strickleiter zu ersetzen.

Die Angst, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben wird immer schwächer, teilweise spüre ich sie überhaupt nicht mehr. Langsam wandelt sich das Ganze zu einem großen Abenteuer, das aus Feiglingen Helden macht und aus dem puren Leben ein Spiel, das man jeden Tag ein bischen besser spielt.

Mittwoch, 15. September 2010

Drei Freunde

Wir waren zu dritt - eigentlich schon immer. Da waren Sam, Max und ich - Jim. Sam war eher der ruhige, subtile Typ. Er achtete auf die Details, während Max und ich doch mehr für die groben Sauereien zuständig waren.
Aus dem kleinen Transistorradio, das Max dabei hatte, tönte die Übertragung irgendeines beschissenen Kleinstadtbaseballspiels. Ich saß auf einem Stuhl mitten im Raum und rauchte. Sam schaute aus dem Fenster, das notdürftig mit Holzlatten vernagelt war, und Max lehnte an der Wand mir gegenüber. Er pulte das Etikett seiner Bierflasche in kleinen Stücken ab, formte diese zwischen den Fingern zu Kügelchen und warf sie vor sich auf den Boden oder schnippte sie ziellos in den Raum.
Ich warf meine Zigarette vor mich hin, trat sie aus. Anschließend stand ich auf und ging zu Sam ans Fenster, blickte ebenfalls kurz durch die großzügigen Spalten zwischen den Holzlatten. Dann setzte ich mich wieder.
"Okay." sagte ich ruhig. "Wer von euch beiden Psychopathen erklärt mir das hier?"
Sie blickten mich an. Keiner sagte etwas.
"Leute, Ich frag euch noch einmal: Wer von euch beiden hirnverbrannten, mutterlosen Scheißwichsern erklärt mir das hier?" In dem Moment versetzte ich dem toten Körper zu meinen Füßen einen Tritt.
"Also ... es ist einfach so passiert." Max hatte das Wort ergriffen.
"Einfach so passiert gibt es nicht!"
"Ehmn ... naja ..." sagte er unsicher.
"Ich sehe, daß das deine Arbeit ist, Max. Aber hatten wir nicht was ausgemacht?"
Er schaute zu mir herüber und warf dann die leere Flasche in eine Ecke, wo sie klirrend zerbrach. "Ja."
"Und was - mein lieber geschätzter Freund - was ist daran mißzuverstehen, wenn ich sage, daß diese verdammte beschissene Schwuchtel noch leben soll, wenn ich wiederkomme?"
Sam. "Rein gar nichts."
Max. "Der Pisser hat mich wahnsinnig gemacht, Mann!"
"Junge!" platzte es aus mir heraus. "Du bist schon lange wahnsinnig. Da kann der Scheißer doch nun echt nicht viel dran gedreht haben. Und weißt du was? Diesmal darfst DU die Grube ganz allein ausheben und auch wieder zu schaufeln." Ich trat noch einmal nach dem Toten. Irgendein Yuppie war das mal gewesen. Anwalt oder so.
"Och Jimmy!" maulte Max.
"Nein. Kein 'Och Jimmy!' der Welt wird dir das dieses Mal ersparen." Irgendwann mußte er doch einfach lernen, daß er nicht dauernd alle sofort Abmurksen kann, nur weil sie ihn ankotzen. "Dir muß schon klar sein, daß er uns jetzt nicht mehr die Informationen geben kann, die wir von ihm haben wollten."
Max hatte dem Typen echt fast den Kopf abgeschnitten. Dieser hing nur noch durch einen Fetzen Haut im Nacken am Rest des Körpers.
"Ach bevor ich es vergesse. Sam?! Ich hatte mir schon gedacht, daß Max mal wieder frei drehen würde. Hol doch bitte das Paket aus meinem Kofferraum."
Ich zog mir ein Paar abgegriffener Lederhandschuhe an und setzte ein Grinsen auf.

Dienstag, 14. September 2010

Der Tag, an dem die Sterne schwanden

Als ich damals Nachts gegen um drei Uhr aufwachte, um in ein paar Minuten zu meiner Nachtschicht zu fahren, begab ich mich zuerst nach draußen. Um so eine Uhrzeit hat die Nachtluft etwas Klares, Erfrischendes und ich werde besser wach. Als ich dann so vor meiner Tür stand, sah ich, dass die Sterne verschwunden waren. Was soll denn das, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein! Es war nicht so, dass es bewölkt war. Nein, der Mond war immerhin noch da. Die Sterne aber waren einfach verschwunden, es war zappenduster. In Rage ging ich zu meinem Nachbarn und klingelte. Nach fünf Minuten wurde mir die Tür geöffnet. "Herr Jonas, was machen Sie denn für einen Radau?" - "Die Sterne wurden geklaut!" - "Ach, Sie haben doch wieder gesoffen!" - "Nein, habe ich nicht. Die Sterne sind weg. Haben Sie sie versteckt?"
Total sauer betrat mein Nachbar seine Veranda und traute seinen Augen nicht. "Das kann doch nicht... die sind wirklich weg!"
Mit meinem Nachbar im Schlepptau kämmte ich weitere Häuser ab. Erst die meiner Straße, dann noch ein paar weitere im Dorf. Keiner hatte die Sterne bei sich. So gegen Vier standen etwa 100 Mann auf dem Dorfplatz und jeder war empört über das Fehlen der Sterne. Da hörte man eine piepsige Stimme aus dem Schatten der Laternen: "Wollt ihr wissen, wo sie sind?" - "Wer ist da?", fragte der Bürgermeister. "Ich bin der, der euch des Nachts zudeckt und euch des morgens die Decke von der Himmelskuppel stiehlt. Die Sterne sind nichts weiter als Löcher in der Decke, durch die noch das Licht des Tages hindurchscheint." - "Wir möchten aber unsere Sterne wieder!", schrieen die Bürger unseres kleinen Dorfes. "Jaja, das dauert ein bisschen, bis ich wieder neue Sternenbilder gemacht habe, die ihr bewundern könnt. Ihr bekommt auch den Großen Wagen wieder. Versprochen."
"Da! Dort drüben!", schrie eine ältere Frau und wir richteten den Kopf nach links. Da sahen wir einen einzelnen kleinen Stern auf der Hauptstraße liegen. Er war wunderschön und schien in einem sanften Rot. Dann wurde er von einem Auto erfasst und zerstob in tausende von Glühwürmchen. "Du hast uns belogen!", riefen die Bürger. Da wurde die Stimme des Himmelsschmieds tiefer und er sprach laut und deutlich: "Womit habt ihr die Sterne verdient? Schaut ihr sie überhaupt noch an? Habt ihr sie nicht schon längst als etwas Alltägliches akzeptiert? Ihr verseucht den klaren Himmel mit euren Flugzeugen und Satelliten. Gebt den Sternen keine Chance zu leuchten, weil eure Städte nachts zu hell sind, alsdass man den Himmel in seiner vollendeten Schönheit sehen kann! Nur den Mond erwähnt ihr andauernd. Oder Sternschnuppen. Weil die ja so schön sind. Erst wenn ihr die Dunkelheit vor euch habt, vermisst ihr das Licht."
Und er setzte sich in sein Auto und fuhr davon.

Seitdem wird der klare Nachthimmel nur noch "Mondhimmel" genannt. Ganz selten hört man noch Leute über die Sterne reden. Aber sie werden weniger. Auch ich bin mittlerweile so alt, das ich mich nicht mehr an die Sternbilder erinnern kann. Aber das komplette Bild des damaligen Himmels, als ich ihn das letzte Mal sah, wird mir bis zu meinem Tod in Erinnerung bleiben. Ich glaube, das war das, was der Himmelsschmied wollte.

Eine wundervolle Nachgeburt namens Liebe

"Sowas nennt man die Magic Wall.", sagte da Herr Jonas und kotzte unmittelbar danach seinem Partner auf die Schuhe. "Der schmale Grat. Und Sie sind gerade den Abhang heruntergestürzt.", antwortete Herr Meier und reichte Herrn Jonas ein Taschentuch: "In der Liebe ist das normal.
Liebe, Liebe, was soll das eigentlich sein?, dachte sich Herr Jonas und würgte einen weiteren Schwall aus seiner Magengegend. Dieses Mal auf das Kopfsteinpflaster. "Liebe eben, werter Herr.", sagte Meier, als hätte er die Gedanken von Herrn Jonas aufgeschnappt: "Liebe ist so eine eigenartige Sache. Versetzen Sie sich mal in folgende Situation. Sie lernen da so ein Mädchen kennen. Sie verstehen sich gut mit ihr. Richtig gute Freundschaft. Gehen wir dann des weiteren von der Situation aus, das Sie sich in diese Dame verlieben. Sie also, sehr geehrter Herr Vorgesetzter hoffen, dass es auf Gegenseitigkeit beruht. Wie es das Schicksal so will, tut es das auch. Sie kommen also mit dieser Dame zusammen. Können Sie sich bis hier hin in diesen Moment hinein versetzen?"
Herr Jonas nickte, der hält mich wohl für debil, dachte er und wischte sich den Mund ab.
"Nundenn.", fuhr Meier fort: "Sie kommen sich näher, geben sich Nähe, schlafen sogar miteinander. Sie sind dann, wie man es eben so sagt, mit dieser Person 'zusammen'. Sie sind immer noch verliebt, natürlich sind sie das, denn die Dame ist so verständnissvoll. Sie erzählen sich alles, denn es besteht Vertrauen. Ein Starkes. Dann jedoch, nach etwa neun bis zwölf Monaten - das kommt ganz auf die Beziehungsintensität an - verschwindet für Sie das Gefühl. Was bleibt, werden Sie sich nun fragen, werter Herr Jonas. Es ist so etwas wie beste Freundschaft mit routiniertem Körperkontakt. Das Verliebtsein ist die höchste Ebene der Beziehung. Deswegen ist Liebe ein ganz dünner Grat, den man nur seltenst erwischt. Bleiben Sie lieber am Hang stehen, werter Herr."
Von dem Gespräch wird mir ganz duselig, dachte sich Jonas und öffnete die Dose mit den Sonnenblumenkernen. "Von dem Gespräch wird mir ganz duselig." - "Nein, das ist das Ecstasy.", sagte da Herr Meier und widmete sich wieder dem Kadaver seiner Ex-Freundin.

Tag Zehn

Ganz am Anfang waren wir zu zehnt, glaube ich. Wir waren zufällig aufs selbe Bahnhofsdach geklettert, so wurden aus zwei mal fünf eben zehn und wir hielten es für klug, uns am nächsten Morgen nicht wieder zu trennen. Das war, wie gesagt, ganz am Anfang, am ersten oder zweiten Tag. Drei Tage später wurden drei von uns von psychotischen Militärs abgeknallt, als wir uns ihrer Stellung aus Versehen zu weit genähert hatten. Eine davon war nicht mal volljährig. War ein beschissener Moment, als sie getroffen wurde. In derselben Nacht erwischten die Viecher einen, weil er während seiner Wache eingeschlafen war und seine Fackel vom Regen gelöscht wurde.

Es ist jetzt Tag Zehn, abends, und wir sind noch zu viert. Max, Tod, Wach und ich. Tod nannten wir Tod, weil er so aussah, als wir ihn kennenlernten. Er sieht eigentlich mit jedem Tag mehr so aus. Weiße Haut, schwarze Augenringe, mageres Gesicht und so. Wach scheint immer wach zu sein. Irgendwie ist sein Schlaf ziemlich leicht. Max heißt einfach Max, so hat er sich jedenfalls vorgestellt. Ich selbst werde Köter gerufen. Mag an meinem schon vor zehn Tagen abgerissenen Aussehen liegen. Wie ich jetzt aussehe, will ich gar nicht wissen. Über den mangelnden Einfallsreichtum hat sich keiner beklagt, warum auch, wenn man tagsüber auf Futtersuche ist und sich nachts irgendwo versteckt, in der Hoffnung, nicht gefressen zu werden.

Gegen Nachmittag haben wir eine kleine Gruppe Unbewaffneter (das heißt Nicht-Militärs) getroffen, die behaupteten, in einem Lager in einem großen Baum zu leben. Angeblich wären dort noch etwa fünfzehn andere, davon vier Kinder. Wo ihr Lager ist, wollten sie uns nicht verraten, aber sie haben sich auf einen Tauschhandel mit uns eingelassen, so dass wir jetzt eine Pistole und etwa 40 Schuss Munition besitzen. Unser gesammeltes Essen war dafür ein meiner Meinung nach sehr geringer Preis.

Es ist etwa Mitternacht, wir wurden von der Dunkelheit überrascht, weil wir nicht bedacht hatten, dass die Berge im Westen die Sonne schneller verschlucken würden als wir geplant hatten. Wir mussten uns innerhalb von Minuten ein Versteck suchen und fanden nur einen einzelnen Baum, auf dem wir aber nicht alle Platz fanden, weshalb Tod und Max auf ein Gebäude zurannten, mit dem Plan, sich darin zu verbarrikadieren. Sie mussten aber feststellen, dass das Gebäude schon eingenommen ist und waren gezwungen, mitten in der gläsernen Drehtür zu bleiben und zu hoffen, dass die improvisierten Keile die Tür bis zum Morgen fixieren würden und das Glas halten würde. Es ist inzwischen so dunkel, dass ich die beiden nicht mehr sehen kann. Wach meint, er könnte sowieso nicht schlafen, also sollte wenigstens ich mich etwas ausruhen. Hoffentlich sind wir morgen nicht nur noch zu zweit...

Montag, 6. September 2010

Zurück zum Thema II - der Moment um's Kilo

Ich war schon immer so ein Kleinkrimineller. Das hat mit elf Jahren angefangen, als ich in 'nem Rewe ein, zwei Kaugummis geklaut habe. Das mit dem Diebstahl war jetzt nie so das Ding für mich. Ich hab auch mehrmals meinen Eltern Kohle geklaut. Klar, wer tut das nicht. Aber ansonsten war das nicht so meine Sache. Professionell Laptops entwenden und die dann schwarz irgendwo verticken, nein. Das war viel zu anstrengend. Ich hab lieber in meiner Jugend da gesessen und Gras geraucht. Wenn man den Kram selbst verkauft, ist das gar nicht so kostenaufwendig. Man hat sogar noch ein wenig Kohle übrig, um sich eine schicke Ein-Raum-Wohnung zu finanzieren und ein optisch ansprechendes Mobiliar anzulachen. Auch Körperverletzung und Vergewaltigung war nie so das, was ich als kriminelle Akte vollzog. Im Großen und Ganzen beschränkte es sich doch schon auf den Verkauf von Gras und Shit. In kleinen Mengen. Nicht das ich das Zeug aus Holland importieren würde oder so etwas. Dafür hatten meine Oberticker immerhin ihre dummen Laufburschen oder "Driver". Ich war einmal in Groningen in so 'nem Laden namens "Upper 10", da hatte ich mir so ein vier Gramm Paket für 20 Euro gekauft. Der totale Reinfall, wie ich später im Hotel bemerkte. Ich hab's dann an meine unerfahrenen Käufer weitervertickt, als ich wieder in Deutschland war. Ein bisschen gestreckt und aus den drei Gramm etwa fünf gemacht. Oregano sei dank. Die wussten sowieso nichts damit anzufangen. Für acht Euro das Gramm. In gewisser Weise Plus gemacht, wenn man die Fahrtkosten ignoriert, die mir ja sowieso von meinem damaligen Arbeitgeber bezahlt wurden. Seitdem lass' ich das mit dem Pendeln und Gras kaufen. Dafür hatte mir damals Thomas einen guten "Driver" vermittelt. Der nahm 3.000 Euro für's Kilo. 2.500 davon bekam Thomas, die 500 waren dann für ihn. Durch meine sieben Euro Standart-Preis bekam ich eine gute Menge an Kohle hinein, was weiß ich, wieviel die kleineren Ticker, die das Zeug in 20 Gramm-Einheiten bei mir kauften dafür nahmen. Kurzum, ich war bis gestern glücklich mit meinem Leben.

Heute klingelt es an meiner Tür. Ich weiß natürlich, dass der "Driver" von Thomas da vor der Tür steht, frage trotzdem über den Sprechfunk, wer denn da ist. "Deine Pizza El Tonno.", sagt die heisere Stimme am anderen Ende der Leitung und ich drücke auf den Knopf, auf dem ein Sicherheitsschloss eingraviert ist. Etwa eine Minute später betritt der Typ meine Wohnung. Er sieht so aus wie immer. Schwarzer Nadelstreifenanzug mit beigefarbenen Hemd, ein Piercing in der rechten Unterlippe, genauergesagt ein Twister, also so ein Piercing, was zwei mal rum geht und aussieht, als hätte man zwei. Im Grunde genommen ist es einfach nur ein extrem gebogener Stab. Der Stab an sich ist silberfarben und die aufschraubbaren Enden werden von schwarzen, kegelförmigen Nieten verziert. Die Haare sind kurz geschnitten und überaus gepflegt. Thomas' Fahrer sieht aus, wie ein Typ, der in einer Provinzsparkasse arbeitet. Deswegen ist er wahrscheinlich so verlässlich.
"Komm rein.", sage ich zu ihm. Keine Ahnung, wie er heißt. Wir haben uns nie mit unseren Namen angesprochen und an meinem Klingelschild und Briefkasten steht lediglich "KEINE WERBUNG EINWERFEN!", da ich meine sämtliche Post zu meinen Eltern liefern lasse. Er betritt meine unaufgeräumte Bude und legt den Batzen Gras auf den Glastisch im Wohnzimmer. Ich ziehe wortlos die 3.000 Euro aus meiner Tasche, schöne, ungeknickte 500 Euro-Scheine und gebe sie ihm.
"Wie war dein Tag so?"
Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Fahrer mir eine außergeschäftliche Frage stellt. Der Typ beliefert mich seit zwei Jahren. Das einzige, was wir zueinander sagen ist "Hi." und "Tschüß." Aber naja. Vielleicht sollte man auch mal eine Bindung zu seinen Geschäftspartnern aufbauen.
"Naja ganz ok. Bin eben erst aufgestanden."
Es ist wohlbemerkt 14:37.
"Dann schläfst du aber ganz schön lang'."
"Ist ja auch Samstag."
"Darf ich mich setzen?"
"Sicherlich."

Er setzt sich auf meine Couch, öffnet sein Zigaretten-Etui und zieht einen fein säuberlich gedrehten Joint heraus.
"Ich gehe davon aus, dass du selbst in deiner Bude rauchst. Riecht extrem nach Glory hier. Von dem Zeug würde ich dir echt abraten. Da, wo ich das kaufe, hauen die Haarspray rein. Ist schwer, macht das Dope glitzernd und man schmeckts nur heraus, wenn die es übertreiben. Hier hast du den Kram, den ich für mich selbst kaufe, wenn ich in Eindhoven bin. Nennt sich 'N.Y.C. Diesel'. Recht sativa-lastig. Macht dir 'nen echt schönen Abend, wenn du den richtigen Turn hast. Ich lass dir mal ein Gramm hier.", sagt er und zündet sich seine Wundertüte an. Ich packe das Tütchen, welches er mir eben auf den Tisch schmiss in meine Zigarrenkiste mit dem Eigenbedarf und rolle mir eine Jolle mit meinem verbleibenden White Widow und biete ihm ein Bier an.
"Nee, lass'. Ich muss noch fahren und hab noch ne ganze Menge von dem Thai-Krams im Auto. Ich weiß auch nicht, warum Thomas so sehr darauf abfährt. Aber naja vielleicht denkt er einfach wirtschaftlich. Das Zeug is billig und knallt nicht so extrem. Da kommen manchmal die Kunden drei Mal am Abend wieder, weil keiner rum wird, hat er mal erzählt. Cola wär gut. Hast du?"
Ich flüchte in die Küche und mache dem "Driver" ein Glas voll Vita Cola. Dann ein Beck's aus meinem Kühlschrank.
"Bleibst länger? Da richt' ich mich drauf ein.", murmel ich zu dem Fahrer während ich ihm das Glas hin stelle.
"Naja bis spätestens Acht. Dann muss ich bei Mr. T auftauchen." Beim zweiten Satz, fängt er an zu kichern und nimmt noch einen beherzten Zug von seiner Tüte. Auch ich zünde mir meiner White Widow-Mische an und bringe die Sessellehne in eine entsprechende Chill-Position.

Zurück zum Thema I - Prolog

Der Schlag auf den Hinterkopf kommt plötzlich. Ich war nicht darauf vorbereitet. Wie auch? Bisher war ich in einem Ohnmachtszustand, hervorgerufen durch Rohypnol höchstwahrscheinlich. Um meinen Körper rotiert ein, mir unbekannter Mensch und wickelt Angelschnur um mich und ein Objekt, welches er versucht auf meinen Rücken zu binden oder so etwas. Keine Ahnung. Meine Hände, ebenfalls mit Angelschnur fixiert, sind auf dem Rücken übereinander zusammengebunden. Als er merkt, dass ich wach bin, so etwa nach der gefühlten fünften Rolle Angelschnur, hält er inne und spuckt mir ins Gesicht. Ich möchte mich artikulieren, ihm irgend eine Art von Flehen entgegenheucheln, doch dieser Akt wird mir durch den Mundknebel mit übel schmeckendem Hartgummiball verwehrt, weswegen ich klinge, als würde ich in ein Kopfkissen hinein flennen. "Was willst du, du Penner?!?" An seinem Akzent erkenne ich, dass es ein Russe ist. Oder irgendjemand aus den osteuropäischen Ländern zumindest. Lässt sich meist scheiße zuordnen. Ivan, ich nenne ihn der Einfachheit halber nun so, da dort alle Ivan heißen, schneidet die Angelschnur ab, senkt sie mit einem Feuerzeug an dem mich umgebenden Knäuel fest und wendet mir den Rücken zu. Nachdem meine Augen ihre Schärfe-Einstellung optimiert haben, versuche ich mein eingeschränktes Bewegungsfeld mit wenigen Blicken zu analysieren. Der Belag unter mir kann als Kopfsteinpflaster identifiziert werden. Vor mir sind Bäume. Welche auch immer. Keine Spur von Zivilisation. Die Lichtverhältnisse sind jedoch nicht der Atmosphäre und Szene entsprechend. Es ist gleißend hell, die Lichtquelle ist allerdings hinter mir. Und sie ist verdammt warm. Ivan kommt wieder und löst mir den Knubbel aus dem Mund. Dann geht er hinter mich und ich spüre ein weiteres mal einen Schlag auf den Hinterkopf. Danach zuckt etwas hinter mir. Ich erfühle mit meinem Rücken eine andere Wirbelsäule und weiß fast schon, was da an meinem Arsch fest gebunden ist.
"Soma?"
"Was?"
"Unsere Karre brennt."
"Ach verfickt."
Das dort hinter mir ist Tracs. Er versucht unauffällig die Schnur um meine Handgelenke abzufummeln, aber es wird wohl eher bei einem Versuch bleiben.
"Hört zu, ihr Wichser.", schreit Ivan nun zu meiner Linken, sodass wir ihn beide verstehen können.
"Jetz' kommt's.", antwortet Tracs eher zu sich selbst, als zu diesem Russen, welcher fortfährt:
"Ihr wisst genau, weswegen ihr hier in diesem abgelegenen Waldstück sitzt. Wenn ihr mir nicht bald sagt, wo die Kohle ist, werdet ihr genau so in den Himmel aufsteigen, wie euer Polo!"

Bestimmt fragen Sie sich, wie ich in diese Situation gekommen bin. Nunja, ich könnte Ihnen jetzt irgendeine Schizo-scheiße im Sinne von Fight Club erzählen, doch das wäre nicht war. Es ist nicht allein meine Schuld. Die Verantwortung für diesen ganzen Scheiß übernehme ich und dieser verfickte Wichser hinter mir, der, sollten wir uns aus dieser Situation befreien können, ein verfickter TOTER Wichser ist. Wäre er nicht gewesen, würde jetzt kein wahnsinniger Russe vor uns herumspazieren und uns mit Benzin übergießen. Wäre er nicht gewesen, hätte ich jetzt keine eiternden Snakebites mit schrägen Stichkanälen und wäre er nicht gewesen, hätte Liz nie die wahren Probleme ihrer Laktoseintoleranz zu Gesicht bekommen. Aber das erklär' ich am besten mal detailliert.