Freitag, 25. März 2011

Gedankensuppe

Staub und Straßendreck kleben an der Scheibe. Vormalige Wassertropfen haben kleine trübe Kreise geformt. Für den Moment bannen sie mich, wie eines dieser Kinderspiele bei denen man nummerierte Punkte durch Linien verbindet um ein Bild zu erhalten. Allerdings ergeben sie dieses Mal nur Chaos.
Ich spüre das sanfte goldene Licht der Frühlingssonne und schmecke den säuerlichen Nachgeschmack der Plörre, die sich lauthals Bier schimpfen ließ, jedoch allenfalls dem Begriff bierähnliches alkoholisches Spülwasser Rechnung pflichtet.
Die Stadt zieht an mir vorbei während Heretoir meine Ohren verwöhnen und mich nicht zuletzt in eine nahezu angenehme Mischung aus Ästhetik und Melancholie eintauchen, als wäre ich eines dieser gebackenen Bananenstückchen, welche immer noch ein Mal in Honig gebadet werden bevor man sie verzehrt. Allein dieses Gedanken wegen müßte ich vielleicht doch einmal wieder zum Chinesen. Ich war ja eh schon lange nicht mehr mit geliebten Menschen in einem Restaurant.
Gedankliche Stille frißt mich, zerrt sich, während der Bus für einen Moment auf Hochtouren läuft und sogar die Musik meines mp3-Players brachial übertönt.
Ein kurzer Blick genügt – nur ein kurzer Blick. Bis eben ist sie mir nicht aufgefallen. Aber da saß sie wieder. Manchmal zeigt sie sich durch Eindrücke, andere Male ist sie beinahe materiell. Dann sitzt sie vielleicht wie ein Geist neben mir. Ihre Küsse schmecken bitter wie der Rauch von Zigaretten, aber in diesen Momenten ist es als hätte ich nie etwas schöneres geschmeckt. Brennendes Eis.
Ihre Umarmung in diesem Moment schmerzt, obwohl es die erste ist, die ich seit geraumer Zeit spüre.
„Vielleicht solltest du die Einsamkeit heiraten!“ sagt eine sarkastische Stimme in meinem Kopf.
„Fick dich!“ antworte ich.

Dienstag, 15. März 2011

Prag Off - Prolog

Die Geschichte beginnt, wie Geschichten nun einmal beginnen. Ich schlage meine Augen auf und atme ein. Es schein mir, als wäre es der erste Atemzug, den ich je in meinem Leben machen würde. Gerade eben jagten mich noch Schemen durch eine eisige Dunkelheit, Einsamkeit. Kein Ausweg, nur rennen. Doch nun bin ich wach und meine verschwommenen Augen blicken gen Decke. Um mich herum herrscht Stille. Keine Stille, die durch ein sporadisches Vorbeifahren eines Autos erfrischt wird. Nein, diese Stille ist so taub und drückend wie ein traumloser Schlaf. Der Tinitus, welcher sich in diesem Moment in meinem Kopf breit macht, verstärkt dieses Gefühl von Nichts. Ein plumpes, weit entferntes Erschüttern des Bodens ist zu hören. Es scheint jemand eine Treppe hinauf zu laufen. Eine Treppe, welche mir ebenso unbekannt ist, wie dieses Bett, in welchem ich gerade liege. Die Tür wird sanft geöffnet und eine in Slip und Shirt bekleidete Frau, man möchte sie nicht mehr Mädchen nennen, dafür hat sie schon viel zu weibliche Züge, bringt mir eine dampfende Tasse Kaffee, dekoriert mit einem verführerischen Lächeln und den Worten "Den brauchst du jetzt sicherlich." Ich richte mich auf und nehme ihr den heißen Tonkrug mit der Aufschrift "für meine Schatz" aus der Hand. Noch kann ich nicht so ganz verstehen, weswegen ich in ihrem Bett liege. Sie ist der Inbegriff jeglicher jemals gesehenen Schönheiten. Schwarzes, etwa schulterlanges Haar, welches sich ein wenig an den Spitzen kräuselt und huskyblaue Augen. sie trägt einen kleinen Leberfleck an der linken Oberseite ihrer Lippe und ihr Dekollete ist in den verschiedensten Farben tättowiert. Als ich weiterhin wortlos auf diese Tasse starre, fängt sie an zu kichern und schafft es dennoch zwischen diesen beschämenden Lauten ein "du hast absolut keine Ahnung wer ich bin und wie du hier her gekommen bist, oder?" einzubauen. "Das hast du erfasst.", sage ich mit einer kratzigen Stimme, die klingt, als hätte ich ein ganzes Festivalwochenende hinter mir. "Wir waren gestern zusammen auf dieser Party."
Party? "Irgendwann warst du ziemlich betrunken und jemand fragte mich, ob du nicht bei mir im Gästezimmer schlafen könntest. Allerdings warst du echt so süß, dass ich dich eher mit zu mir ins Bett genommen habe. Und ich wette gerade im Moment bereust du deine fehlenden Erinnerungen, weil du danach sagtest, dass es der beste Sex deines Lebens war." Ich schlürfe monoton den ersten Schluck dieser bitteren, braunen Koffeinsuppe und frage mich ob sie mich einfach nur auf den Arm nimmt oder ich wirklich wieder im Blackout irgendwelche Frauen vernascht habe. "Naja, ist ja auch egal. Meine Eltern kommen gleich von meiner Tante wieder und deswegen solltest du dich schnellstmöglich auf den Weg nach Haus machen." Ich exe meine Tasse Kaffee und tue wie mir geheißen. Auf der Türschwelle drehe ich mich noch einmal um und schaue mir dieses schwarzhaarige Stück himmel noch einmal an. "Wie heißt du eigentlich?", frage ich sie. "Tut das was zur Sache?", antwortet sie und gibt mir eine Zigarette und einen Kuss mit auf den Weg.

Die Sonne versucht sich mit aller Kraft vom Horizont abzustoßen, was sie nur in einer eher mäßigen Geschwindigkeit schafft und in der ganzen Stadt ist kein Anzeichen von einem Erwachen zu sehen. Selbst der Bäcker hat noch geschlossen. Meine Füße ziehen mich in Richtung Busbahnhof und meine Augen kleben an Plakatwänden, Graffitis und Schaufensterwerbung. Wenn der Tag gerade erst begonnen hat, dann hat jeder Anblick, ganz egal welcher, eine ganz besondere Mystik, finde ich. Ich setze mich auf eine Parkbank inmitten der Stadt und zünde mir die Zigarette dieser Namenlosen an. Dann überprüfe ich meine Taschen. Mein Geldbeutel, meine eigenen Kippen und mein Zippo sind noch da, jedoch ist mein Handy irgendwo seit gestern 20:00 Uhr und heute früh um fünf auf Wanderschaft gegangen. Ich stütze meine Kopf auf meine Hände, reibe mir mit den kleinen Fingern die Augen und massiere mit der restlichen Hand meinen Kopf. Es ist noch so, als hätte mir jemand Klettverschlüsse an die Augenlider montiert denn jedes Mal, wenn ich sie schließe, weigern sie sich, sich wieder zu öffnen. Meine Haare sehen sicherlich total zerwüstet aus und deswegen erhebe ich mich nur wegen dem Gedanken mir die Haare zu kämmen von der Parkbank und laufe weiter nach Haus. Was für eine dreckige Stadt.

Samstag, 12. März 2011

Asche und Kettensägen

Es war ein schöner Tag Ende Februar. Tatsächlich war es der erste wirklich Schöne dieses Jahr. Die Schneefälle der letzten Woche hatten sich als Sparwitz seitens Frau Holle entpuppt und Platz gemacht für ein angenehm mildes Klima, Sonnenschein und einen nicht allzu kühlen Wind, der jetzt friedlich durch Baumspitzen, Wiesen und Aschenbecher wehte und die Frühlingsluft mit dem unbestimmten Gefühl von aufkeimendem Leben und kleinen Aschestückchen anreicherte. Der Zweitaktmotor der zwei Grundstücke weiter brüllenden Kettensäge verströmte seinen unverkennbaren Duft, aber auch dieses kleine, benzingetriebene Stück Störsamkeit, das ihn vor einigen Minuten aus dem alkoholinduzierten Schlaf gerufen hatte konnte Frank die gute Laune nicht verderben, die er angesichts der Schönheit dieses Tages empfand. Er lag auf dem Balkon seines Vorstadtapartments in einem von den Jahren weichgesessenen und inzwischen noch viel bequemeren Liegestuhl und atmete abwechselnd Frühling, Zweitaktabgase und THC-haltigen, leicht im Hals beißenden Rauch ein. Auf der anderen Seite der zum größten Teil gläsernen Balkontür verrieten ein leises Poltern und ein halbherzig unterdrückter Fluch, dass Pete sich soeben zum zweiten Mal den Fuß an dem kleinen Tisch gestoßen hatte unter dem er die Nacht verbracht hatte. Kurz darauf flog die Tür auf und ein zerzauster, verschlafener Pete ließ sich mit so genau dosierter Wucht auf seinen der beiden Liegestühle fallen, dass dieser zwar bedrohlich knackte, das Panzertape an seinem Bein jedoch keine Anstalten machte nachzugeben. Als sei das Auftauchen dieses rüde geweckten Kolosses ein allgemeines Zeichen für Flucht, ließ der Wind nach und die Aschepartikel sanken vor dem Balkon zu Boden. Auch die Kettensäge verstummte und hinterließ eine Art akustisches Loch, mit dessen Bewältigung Franks betäubtes Gehirn erst ringen musste. Kurz hatte er das Gefühl gehabt, jedes Geräusch werde von der plötzlich entstandenen Leere angesaugt und verschluckt, wie Materie von einem Schwarzen Loch. Dann nahm das leichte Rascheln von im Wind wogenden Nadelbäumen wieder an Intensität zu und das akustische Gleichgewicht war wiederhergestellt. "Wie warsn gestern Abend?", nuschelte Pete und ließ einen nach Mentholkippe stinkenden Rauchring eine kurze Flaute erforschen. Der Ring zerfaserte sich und wurde schließlich vom nächsten Windstoß erfasst und löste sich auf. "Du warst doch dabei.", erwiderte Frank ohne den Blick von einem Punkt in sehr, sehr weiter Ferne abzuwenden. Ein weiterer Ring. "Naja, schon, aber du ja auch und deshalb dacht ich, du kannst mir das vielleicht sagen." Hätte Frank das hilflose Gesicht zu seiner Rechten gesehen, hätte er vermutlich laut aufgelacht, aber sein Blick blieb nach wie vor schnurgeradeaus gerichtet, auf etwas, das nur er selbst sehen konnte, als denke er über etwas nach, über das normale menschliche Gehirne aufgrund ihrer mangelnden Kapazität nicht nachdenken können. Langsam antwortete er: "Ich hab keine Ahnung. Absolut keine Ahnung. Und aus irgendeinem Grund gefällt mir das wirklich gut so. Irgendwo im Internet hab ich mal was gelesen, wo jemand dieses Gefühl beschrieben hat. Ich fand das so cool damals. Ich glaub sogar ich kanns noch auswendig..." Und er fing an zu zitieren.

"Ich fühle mich klein. Bin verkatert, wie nach dem Zurückfinden in die Wirklichkeit nach einem Rausch, in dem Moment, in dem gerade die Sonne aufgeht und alles in rotes Licht taucht. Der Moment, in dem man realisiert, wo man ist, wer man ist... Man fragt sich, wer die Person neben sich ist, oder wer der Typ ist, der in der Küche steht und Kaffee kocht... Die Frage nach dem Geschehenen kommt auf... vergeht wieder... wird gestellt... nicht beantwortet... Man nimmt einfach hin was war... was sein wird... Ob es eine Bedeutung hat, oder nicht, es ist da und lässt sich nicht löschen. Einzig die Art damit umzugehen ist immer anders. Manchen ist es egal, manche machen Witze, andere spekulieren, wieder andere bedauern. Ich genieße das Gefühl... Das Gefühl, zu wissen, dass da etwas ist, aber nicht, was es ist... Das Gefühl, das von allem schließlich zurückbleibt..."

Mittwoch, 9. März 2011

Der weiße Hase

Soma und ich saßen vor diesem grauen unscheinbaren Koffer. Er war ziemlich schwer, hatten wir zuvor festgestellt.
„Nun mach schon auf, Wolf!“ drängelte er und reichte mir den Joint.
Ich klemmte mir das Ding zwischen die Lippen. „Na gut. Gehen wir's an.“ Ich schob die Verschlußschnallen nach außen und der Deckel der Koffers schnappte mit einem leisen Plopp ein Stück auf.
Ich atmete tief ein, klappte den Deckel hoch.
Mein Gesicht gefror und mein Blick schweifte mit diesem Ausdruck immenser Überraschung hinüber zu Soma der ebenso erstaunt auf den Inhalt starrte.
Vor uns lagen zehn Folienpakete in zwei Reihen mit jeweils einem Etikette darauf. Es waren schwarze Etiketten auf welchen weiße stilisierten Hasen abgebildet waren. Und auch wenn dieser Fund uns vielleicht gutes Geld einbringen dürfte, verhieß er nichts gutes.
„Dude!“
„Ja Soma?“
„Das ist nicht das was ich glaube, das es ist oder?“
„Doch ist es!“
„Shit!“
„Doppel-Shit!“
„Ja Mann! Zehn Kilo bestes White Rabbit Kokain sind echt kein gutes Zeichen. Und schon gar nicht, wenn sie mit dem Zimmerservice kommen.“ sagte ich. Mein Versuch dabei ruhig zu klingen ging mächtig in die Hose. „Was ich noch sagen wollte …“
„Was?“
„Laber nie wieder über diesen Matrixscheiß Mann!“
„Ist gebongt.“ Er schluckte. „Bier?“
„Ja.“
„Kalt oder oder aus'm Kasten?“
„Seh ich aus, als ob mich das gerade jucken würde?“
Soma griff neben die Couch und holte zwei Biere hervor, die natürlich sofort geöffnet wurden und noch schneller unsere Kehlen hinab flossen.
„Alter!“ sagte er.
„Yamann! Ich weiß.“ antwortete ich.