Mittwoch, 16. November 2011

Eldorado 2

Das goldene, am Innenspiegel baumelnde Dogtag blitzt in der von rechts ins Auto scheinenden Nachmittagssonne; wie ein sehr langsam eingestelltes Stroboskoplicht. Blitz... Blitz... Blitz. Ich nehme es ab, halte es mir vors Gesicht und drehe es in der einen Hand hin und her, während ich mit der anderen das riesige Fahrzeug auf der mittleren Spur der vollkommen leergefegten Autobahn halte. Kaum zu glauben eigentlich, dass ich eins der Symbole des besten Einzelgänger-Zombiejägers, von dem ich je gehört habe in der Hand halte, während ich in dem anderen eine leere Autobahn entlangfahre. "Eldorado" steht auf der Hälfte des Dogtags, die ich in der Hand halte. In feinen, verschlungenen Buchstaben. Ihr Zwilling, die andere Hälfte, liegt auf dem Steinhaufen, unter dem ich seine beinahe kopflose Leiche begraben habe. Er hat sich eben den falschen Schlafenden zum Ausrauben ausgesucht und mein Symbol - die riesige silberne 12,7x99mm-Patrone - leider zu spät, nämlich erst beim Durchsuchen meiner inneren Jackentasche entdeckt. Woraufhin er wohl lieber eine Ladung Schrot fraß, als darauf zu warten, hirn- und seelenlos durch die Welt zu ziehen.

Ich gehe vom Gas und hänge das Dogtag wieder an seinen Platz, um einer Gruppe Untoter hinter der Leitplanke beim Grasen zuzusehen. Ein dämliches Wort für ihr Verhalten, aber wie sie da so stehen, so weit wie möglich nach vorne gebeugt, den Rücken zur Sonne und die Arme hin und her pendelnd, passt es eben wie die Faust aufs Auge. Als ich vorbeifahre, schrecken einige von ihnen hoch und stieren in meine Richtung, bevor sie sich wieder nach vorne beugen und weiter Sonne tanken.

Ich fühle mich wie der König der Welt. Nicht wie in dieser behinderten und tausendmal parodierten Szene aus Titanic, sondern irgendwie cooler. Ich hab den Zombiejäger Nummer 1 besiegt, und das ganz buchstäblich im Schlaf und obwohl es nun wirklich nicht meine Absicht war. Außerdem stehe ich in dieser ganzen Scheiße zwar irgendwie zwischen den Fronten, aber auf eine ziemlich abgefahrene Art. Die Hirnlosen greifen mich nicht an, weil ich das Virus ja habe und die mit Hirn greifen mich nicht an, weil ich eben Hirn habe und, mit diesem Auto mehr denn je, aussehe wie einer von den Guten. Dass ich hochansteckend bin, muss ja keiner wissen. Jetzt ist die ganze Welt mein Eldorado, sie liegt mir zu Füßen, ich kann mir nehmen was ich will und leben wie Gott in Frankreich. Zwischen eigentlich ganz liebenswerten Zombies und etwas gestressten, aber trotzdem ganz netten Menschen.

Montag, 14. November 2011

Tiefenpeeling III

Häuser ziehen am Fenster vorbei. Das Grau des Himmels wird löchrig und einzelne blaue Flecken mit rissigen Rändern tun sich auf. Dann Spüre ich die Schräglage der Gleise und durch das Fenster hinaus beobachte ich, daß unser Zug sich unter die Oberfläche wühlt, wie ein riesengroßer Regenwurm. Schwarze Finsternis umgibt uns für wenige Sekunden bevor die Innenbeleuchtung der Bahn anspringt. In der Fensterscheibe sehe ich nun Sveta, wie sie sich umsieht, versucht unbemerkt Leute zu beobachten. Immer wieder sehe ich, wie sie sich dabei ertappt, jemanden zu lange und zu direkt anzusehen.
Ich beuge mich zu meinem Rucksack hinab und wühle darin. Eigentlich suche ich nichts bestimmtes, gebe nur vor etwas finden zu wollen. Dabei mustere ich dieses Mädchen. Ich stelle fest, daß sie noch etwas unbeholfen ist. Wahrscheinlich ist sie nicht von hier, lebt noch nicht lange in der Stadt. Während sie den Linienplan begutachtet, wirkt sie verloren, als wüßte sie nicht wo sie ist. Sie studiert ihn viel zu lange. Ich fische zwei Bierdosen aus dem alten zerschlissenen Rucksack und reiche ihr eines. Etwas perplex hält sie es fest, während ich das meine öffne — zisch-klack.
„Woher kommst du?“ frage ich aus dem blauen heraus.
„Was meinst du?“ kommt eine Gegenfrage.
„Naja ich merke einfach, daß du noch nicht lange in Frankfurt lebst.“
„Ich bin aus Rostock.“ sagt sie dann. „Bin wegen dem Studium hier. Germanistik.“ Ein zuckersüßes lächeln umspielt ihren Mund. Jetzt kann ich auch ihren leichten Akzent einordnen.
Der Hauptbahnhof zieht vorbei, wird langsamer. Der Zug hält. Wieder strömen Massen herein und heraus. Tausend Gesichter in zwei Minuten. Keines bleibt lange im Blickfeld. Graue Götterkacke auf dem Weg ins Irgendwo.
Alles beruhigt sich wieder etwas bei der Abfahrt, aber wie immer gibt es noch den einen oder anderen Reisenden, der mit seinem viel zu vollgepackten Koffern versucht einen Platz für sein zersessenes Arschfleisch zu finden.
Ich beginne mir eine Zigarette zu drehen, da fällt mir ein, daß ich wenigstens ein kleines bisschen Gentleman sein sollte und frage Sveta: „Möchstes du auch eine haben?“
„Danke, aber ich hab.“ Sie lächelt.
An der nächsten Station verlassen wir den Zug und begeben uns an die Oberfläche um zu Rauchen. Ein paar dieser flacheren Häuser scheinen vor dem Hintergrund der Bankentürme das Stadtbild hier zu dominieren. Am Himmel ist immer mehr Blau zu sehen. Und ab und an treffen uns sogar ein paar Sonnenstrahlen. In der Nähe öffnet ein Dönerhaus. Zwei Leute tragen diese Kreidetafeln auf die Straße.
Dann schaue ich Sveta an. Ihr ist kalt, das sehe ich und lege meinen Arm um sie. Sie schaut zu mir auf und lächelt wieder so dermaßen bezaubernd.
„Wollen wir einen Çay trinken?“
„Gerne.“ Ihre Augen leuchten.

Wir sitzen wieder an der Station, aufgewärmt von türkischem Tee. Ich beobachte einen Mann der in unserer Nähe steht. Offensichtlich betrunken versucht er etwas aus seinen Taschen zu holen und stülpt sie sich dabei nach außen. Sveta wird ebenfalls auf ihn aufmerksam und kichert leise.
„Was ist denn mit dem?“ fragt sie.
„Voll, würde ich mal vermuten.“
„Oh.“
„Ja. Ich denke er wird sich betrunken haben. Danach war er sicher im Bahnhofsviertel und wie er aussieht hat er bestimmt keinen hochbekommen. Schau nur, wie unbeholfen er seine Fahrkarte sucht. Aber er wird sie gleich in seiner Geldbörse finden.“ — was er in diesem Moment auch tut — „Siehst du? Ein typischer Fall von zu viel am falschen Tag ist das.“
Sveta lacht. „Du bist witzig, Ben.“
Ein paar Momente später vernehmen wir auch schon das Geräusch eines einfahrenden Zuges.

Tiefenpeeling II

Neben mir sitzt seit ein paar Minuten ein Mädchen. Schön ist sie. Schlank, vielleicht eins-siebzig groß, etwa 45 Kilo leicht, langes dunkles Haar, große braune Augen und volle Lippen. Sie ist gänzlich in schwarz gekleidet und auf ihrem rechten Oberarm prangt eine norwegische Flagge. Wahrscheinlich eine von diesen … äh … Johnny sagt immer „Bläckmetlerinnen oder so“.
Ich krame in meinen Taschen und hole meinen Tabakpäckchen sowie Longpapers heraus. Zum Glück ist es in diesem Glasabteil windstil. Ich nehme also etwas Gras und Tabak aus dem Päckchen, mische beides auf einem Paper grob zusammen bevor ich alles zu einem Joint zusammenrolle.
Ich tippe das Mädchen an, schaue fragend und zeige ihr die Lunte. Sie lächelt und nickt. Also rauche ich jetzt mit einer völlig fremden, aber gutaussehenden, Frau am Arsch von Frankfurt eine Joint auf einer Übertagestation der U-Bahn. Das hätte ich mir heute früh nicht erträumen lassen.
„Ich bin Ben, wie heißt du?“ frage ich plötzlich.
„Sveta.“ sagt sie und reichte mir die Hand. „Schön dich kennenzulernen, Ben.“
Ich erwidere den Händedruck und sage: „Gleichfalls, Sveta.“
Sie hat ein süßes Lächeln.
„Was treibt dich um diese Uhrzeit an dieses Ende der Stadt?“ fragt sie mit einem Mal und überrascht mich damit. Wie soll ich ihr jetzt erklären, daß mir langweilig war und ich mir eine Tageskarte für die U-Bahn gekauft habe.
Und da tue ich es eben einfach so, wie man es tut.
„Ja weißt du, ich habe mir aus Langeweile eine Tageskarte für die U-Bahn gekauft und bin in den ersten Zug gestiegen, der durchfuhr.“ Ich lache leise und schaue auf den Betonboden. „Bald werde ich wieder in irgendeinen dieser Züge steigen und an einer anderen Stelle der Stadt auf einem Bahnsteig sitzen und mich umsehen, hinsetzen, über nichts nachdenken und einfach nur die Stadt von unten beobachten.“
„Das klingt wundervoll.“ flüstert sie beinahe unhörbar.
„Ich habe dabei nicht wirklich Schönheit und Wundervolles im Sinn gehabt.“ sage ich und fahre fort, „Irgendwie konnte ich nicht Heim. Es erdrückt mich dort“ — Warum erzähle ich ihr das? — „und die Stadt lenkt mich ab.“
„Kann ich ...“ beginnt sie, bricht aber plötzlich ab.
„ … mich begleiten?“
„Ja.“ ein Flüstern nur.
„Es wäre mir eine Ehre.“ antworte ich, bevor sie es sich anders überlegen kann.
Sie drückt den Joint mit dem Absatz ihres linken Stiefels aus, steht auf und geht zum Fahrkartenautomaten.
Ich schaue mir die Überdachung an. Modernes Wellblech — das Eckige, nicht das Runde von früher. In den Vertiefungen sind Neonröhren. Gerade sind sie nicht eingeschaltet und man sieht wie verschmutzt sie sind.
„Hey!“ höre ich Sveta neben mir.
Ich stehe auf und schaue in Richtung Stadtrand, sehe eine Bahn kommen.
„Nehmen wir die?“ fragt sie lächelnd.
„Warum nicht?!“ antworte ich und grinse.
Das Mädchen hakt sich bei mir ein und wir stellen uns an den Bahnsteigrand.
Es ist sicher nicht verkehrt eine Begleitung zu haben, denke ich und lächele in mich hinein.
Vor uns öffnen sich die Türen und ein Schwall Menschen quillt heraus. Allerdings scheinen Sveta und ich eine Respektbarriere zu besitzen die niemand aus der grauen Masse zu durchbrechen wagt oder gar fähig ist. Es ist wirklich nicht verkehrt eine Begleitung zu haben und meine ist gerade wahrlich wundervoll.

Freitag, 11. November 2011

Eldorado

Ich öffne die Augen, aber es bleibt schwarz. Ich höre das Brabbeln eines V8-Motors im Leerlauf irgendwo links von mir. Warum kann ich nichts sehen? Der erste Gedanke: "Scheiße, ich hab zu viel von dem selbstgebrannten Wodka gesoffen.". Dann der Verstand leise: "Es ist Nacht, Holzkopf." Okay, es ist also finsterste Nacht, ohne Sonne, Mond und Sterne und ich liege auf etwas, das sich wie eine Isomatte auf einer alten Matratze anfühlt. Nicht weit weg steht ein Auto mit laufendem Motor. Der Luft nach zu urteilen bin ich nicht in einem geschlossenen Raum. Außerdem fühlt sich der Boden unter der Matratze kalt und feucht an, wie Asphalt oder rauher Beton sich nachts eben anfühlt. Ich richte mich langsam auf und krieche auf allen Vieren herum, bis sich das unsaubere Grummeln des Motors direkt neben mir befindet. Taste nach dem Auto. Meine Finger berühren kaltes Metall, eine Kante, dann, knapp darunter einen Reifen. Kalt. Also steht das Auto wohl schon länger hier. Warum ist der Motor an? Ich krabbele weiter, die linke Hand auf dem Boden vor mir, die rechte am Kotflügel entlangstreifend, auf der Suche nach einem Türspalt. Da ist der Spalt, einen halben Meter weiter auch der Griff. Ist aber abgeschlossen. Ich wage es aufzustehen und tapse mit vorsichtigen Schritten um das riesige Fahrzeug herum. Es ist wohl ein amerikanisches Coupé aus den Fünzigern oder Sechzigern, jedenfalls den ausladenden Karosserieelementen nach zu urteilen. Senkrechte Flossen über den hinteren Kotflügeln, projektilförmige, spitz zulaufende Rückleuchten. Ziemlich sicher ein Cadillac Eldorado. Aus der ersten Generation. Da ist die andere Tür. Nicht verschlossen. Ich öffne sie und die Innenraumbeleuchtung brennt mir Löcher in die Netzhäute. Mit tränenden Augen blinzle ich ins Fahrzeuginnere, drehe mich sofort wieder um und kotze auf meinen Schatten. Nachdem sich mein Magen wieder etwas beruhigt hat und mein Kopf sich mit der Szenerie abgefunden hat, zerre ich den mehr oder weniger kopflosen Typ von Fahrersitz und löse seine Finger von der vollkommen mit Blut und Gehirnfetzen versifften Schrotflinte, bevor ich anfange, ihn und meinen neuen Wagen nach weiteren nützlichen Gegenständen zu durchsuchen...

Donnerstag, 10. November 2011

Rast am Irken-Riff

Nillias hielt einen Moment inne, schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, welcher ihm die Meeresluft tief in seine Lungen pumpte. Er vermisste den Wind, erhoffte sich sogar einen Sturm, jedoch war er sich bewusst, dass hier an den endlos hoch scheinenden Klippen des Irken-Riffes nie auch nur ein Windhauch vorbeizog. "Das Riff ist so voller böser Seelen, dass selbst der Atem der Götter vor diesem Schauplatz zerstaubt.", flüsterte Sedan. Sein flüstern verwandelte sich an den Wänden der Klippe zu einem unheimlichen Echo, welches Nillias frösteln ließ. Weit unter ihnen befand sich die sich bis zum Horizont ziehende Golgatha der Zwerge. Sie mussten irgendwo hinter ihnen in den verschlungenen Gängen des Androth-Berges lauern. Nillias zog das Schwert aus seiner Lederscheide, welche durch die zahllosen Kämpfe bereits rissig war. Das Schwert hingegen, welches ihm sein Vater vermachte, als die Zeiten noch besser waren, schien makellos und die eingravierten Sprüche der alten Magier waren zwar von festgekrusteten Blut überzogen, jedoch waren sie noch einwandfrei zu lesen. "Es ist mein Geist, nicht mein Schwert, welcher dich tötet.", flüsterte Nillias. "Und es ist die Bedeutungslosigkeit, nicht die Fäulnis, welche dich in in das Nichts auflöst.", beendete Sedan. Sie schauten sich einen Moment in die Augen und setzten ihre Reise gen Heimat fort.



geschrieben während jenes Lied gehört wurde.

Mittwoch, 9. November 2011

Amphetamin II

"Naja, nachdem er sich halt vollgeschissen hatte, meinte er nur noch flennend zu uns, wie schwer es doch sei ein Einzelkind zu sein. Er habe aus Rebellion bereits angefangen sein Zimmer partiell anzuzünden und, warte mal..." Sega legte sich eine weiter Bahn zurecht und sog sie durch sein linkes Nasenloch in die Tiefen seines Körpers, als würde einfach alles an und in ihm aus einem organischen Staubsauger bestehen. Nachdem die Bahn weg war, atmete er noch einmal tief ein, damit auch nichts aus der Nase fiel und während eine Träne aus seinem linken Auge, welches direkt über dem Speed-Staubsauger saß lief, beendete er den Satz: "...naja und dann ist er mit 'nem Cutter-Messer auf sein Mobiliar und so weiter losgegangen. Letzten Endes hat er drei Löcher in sein Plüsch-Pikachu geschnitten und das penetriert er jetzt regelmäßig." Lucy sah auf: "Kann ich bezeugen man, das Teil is' knüppelhart, ist kaum noch als Plüschtier zu erkennen."
Ich nahm die von Sega vorgelegte Bahn dankend an und etwa zwei Minuten später lief mir ein ekelhaft bitterer Geschmack den Rachen hinunter. Ich schaute auf die Uhr. 10:30. Verdammt, seit 36 Stunden nicht geschlafen und das Bedürfnis nach einem Bett schwand bei jedem Nachlegen und verzog sich zurück in eine dunkle, mit minimal dekorierte Ecke.
"Ich müsste mal molchen.", quoll es mir aus dem Mund.
"Na da hinten links is' die Toilette. Weißt du doch."
"Jaman, aber Mikel hängt da schon seit 'ner Stunde und kotzt permanent."
Da sieht man es ein weiteres Mal. Gras und Alkohol bringen dich zum Kotzen, alsbald du nur eine Gräte bewegst. Amphetamine hingegen...
"Ach dann piss' halt in's Waschbecken."
Ich nahm seine Aussage wahr, legte sie jedoch in meinem Unterbewusstsein ab. Noch könnte ich warten. Später würde ich vielleicht darauf zurückgreifen.
Stattdessen stand ich auf und schleppte mich, Selbstgespräche führend in Richtung Toilette.
Klopfen.
"Ey Mikel."
Von der anderen Seite der Tür hörte man ein leises Röcheln.
"Ich komm jetzt rein man."
Ich öffnete die Tür und sah meine Kumpanen mit dem Kopf in der Kloschüssel, wild kotzend.
Zurück in's Wohnzimmer.
"Lasst den mal umlagern oder so."
Danach ging alles ganz schnell. Zwei Typen liefen gen Toilette, verfrachteten Mikel's Kopf in einen Eimer und schleppten ihn in ein separates Zimmer, wo er neben des Kotzens noch ein wenig schlafen konnte.
Ich spülte, bevor ich pisste, pisste, schaute mir mein Urin an, empfand es als leuchtend, strahlend, spülte noch einmal, wusch mir Hände und Gesicht und dann war ich wieder im Wohnzimmer.
Sega zockte FIFA2012 auf seiner XBOX und Lucy chillte im Sessel rum. Die beiden Typen, welche eben noch Mikel in das andere Zimmer verfrachteten, standen nun auf dem Balkon und unterhielten sich über Liedermacher. Die Stimmung war an sich sehr entspannt, bis Lucy das Schweigen brach.
"Ey Soma?"
"Hm?"
"Ich bin untersext."
"Dito. Lass uns zusammen tun, um dieses Problem zu beheben."
Lucy sah zwar schon ziemlich verbraucht aus, speckige Haare, Augenringe ohne Ende und dünne Zahnhälse und wahrscheinlich würde sie ohne Gleitcreme nicht einmal mehr feucht werden, aber der Trieb siegte und ich verzog mich mit ihr in Sega's Zimmer.

Dinner bei Tom - Tom's Abend

Es war eher ein stummes Gewitter. Man sah zwar die Blitze, wie sie den Himmel für Sekundenbruchteile erleuchteten, jedoch kam es einem eher so vor, als würde irgendwer aus einer dunklen Ecke heraus Fotos schießen. Der Stadtverkehr übertönte einfach den Donner, welcher noch viel zu weit weg erschien. Der Regen war nach Tagen endlich ein richtiger Regen geworden. Ergiebig. Große Tropfen klatschten um mich herum auf das Kopfsteinpflaster und hinterließen winzig kleine Pfützen bei jedem Aufschlag. Die letzten Tage war es eher ein Nieselregen und die Kleidung war durchgeweicht und man wusste überhaupt nicht warum. Durch den Regen brachen sich die suchenden Lichter von Scheinwerfern, die sich langsam auf dem Parkplatz nach vorn tasteten. Es wehte bloß ein schwacher, aber dennoch recht kalter Wind. Ungewöhnlich für mitte Juli. Erschrocken warf ich meine Zigarette weg, welche in den letzten paar Minuten langsam vor sich hin glomm, anstatt von mir geraucht zu werden. Ich hasse Brandnarben, die schmerzen noch tagelang. Ich hatte zwar keine Lust noch eine zu rauchen, zündete mir jedoch umgehend danach eine Weitere an, nur aus diesem Gedanken, eine Kippe aufzurauchen, da es mir ansonsten immer so unfertig vor kam. Nach zwei Zügen und einem kurzen Blick auf die Uhr, verwarf ich den Gedanken den Glimmstängel leerzusaugen und flüchtete zurück durch die Tür des Personaleingangs.
"Tom, die Kunden stapeln sich fast schon."
"Hm, ich geh' gleich vor."
"Irgendwie geht's dir in letzter Zeit nicht ganz so gut, hab' ich das Gefühl."
"Später, Martha, ja?"
Martha war das Mädchen aus der Vorschicht. Wir arbeiteten beide in der selben Tankstelle. Ich setzte diese überaus alberne Mütze und ein gekünseltes Lächeln auf und stellte mich hinter den Tresen. "So, wer ist denn der nächste?"

Tiefenpeeling I

Der Geruch von warmem Gummi liegt in der Luft und doch ist es arschkalt. Die Fliesen an den Wänden sind dreckig. Die Leute auf den Metallsitzen davor zum Teil ebenfalls. Da Sitzt ein Banker neben Oma Krause aus dem Altersheim und Peter Fragmichnicht steht zwei Meter weiter, traut sich nicht einmal den versifften Punk – mich – vor ihm nach einer Zigarette zu fragen.
Ich rauche, frage mich, was ich heute tun soll. Hab ja eh keinen Job. Viel Geld in der Tasche hab ich auch nicht, aber es reicht irgendwie für eine Tageskarte durch Frankfurt. Warum sollte ich das nicht mal nutzen. Hab ich noch nie gemacht. Der stumme Peter guckt kurz hoch und sieht sich um, stiert danach wieder auf den Boden wie ein lethargischer Rhesusaffe auf kaltem Entzug.
Langsamen Schrittes, ich merke immer noch dieses psychosomatische Beben in den Knochen, gehe ich also zum Fahrkartenautomaten, wähle die scheiß Tageskarte und stopfe meine verdammten letzten zehn Euro in den Geldschlucker vor mir. Nach ein paar Sekunden ist das Papier bedruckt und etwas Rückgeld klappert hinterher.
„Dreifuffzig!“ murmele ich so vor mich hin, wie ich es in der Hand halte. Die Bahnhofsdurchsage kündigt gleichzeitig den einfahrenden Zug an. Ich blicke mich um. Am Ende des Bahnsteigs sehe ich zwei Ordnungsbullen. Na heute aber nicht, denke ich dann bei mir und lasse die Zigarettenkippe fallen, trete einmal drauf, kicke sie unter den Automaten.
Ich drehe mich um.
Der stumme Peter steht plötzlich wieder dicht neben mir. Was hat der Typ eigentlich? Ich weiß nicht einmal wie er wirklich heißt. Er steht immer nur in dieser Station herum und macht eigentlich nichts. Unheimlicher Kerl.
Der Zug fährt ein und haufenweise Menschen quellen aus ihm heraus. Ja sie quellen. Wie zäher Honig oder Schleim. Oh, Schleim. Ja das gefällt mir. Sie quellen heraus wie Schleim. Grüner ekliger, verschissener Nasenrotz. Der Scheiß der einem direkt die Arschhaare zu Berge stehen läßt.
Bei dem Gedanken schmunzele ich vor mich hin und merke gar nicht, wie ich in den Zug steige und mir eine Platz suche. Auf jeden Fall sitze ich mit einem Mal auf einem dieser grauenhaft gepolsterten Plätze und habe meinen 12 Jahre alten Armeerucksack zwischen die Unterschenkel geklemmt, jedoch nicht ohne mir vorher eines dieser widerlichen Dosenbiere herauszufischen.
Eine Frau geht vorbei und guckt mich strafend an. Sie sieht ganz gut aus aber ich interessiere mich nicht wirklich dafür und rotze ihr nur ein grimmiges „Was guckst'n so!“ entgegen.
Der Zug fährt ab und geleitet mich in die Unterwelt. Schwarze Wände huschen an mir vorbei und Nach ein paar Stationen sitze ich auch schon nicht mehr allein in diesem Viererabteil – nennt man das so? Ich weiß das echt nicht!
Neben mir sitzt eine Ziemlich fette Frau mit üblem Körpergeruch, aber ich bin wahrscheinlich nicht viel besser, wo ich doch seit drei Tagen nicht geduscht hab. Vor mir ist ein Junges Mädchen, wahrscheinlich nicht einmal halb so alt wie ich, und guckt aus dem Fenster. Vielleicht fährt sie gerade in die Schule oder so etwas. Daneben ein Bulle der gähnt wie ein Scheunentor. Vielleicht hat er Nachtschicht gehabt. Auf seinem Hemd kann ich zumindest eindeutig Kaffeeflecken und einen klecks Puderzucker, wie man ihn für Donuts verwendet ausmachen. Klischeescheiße, ich glaubs nicht. In Wirklichkeit würde es sich wohl als Koks herausstellen.
An der nächsten Station steige ich aus. Sie ist oberirdisch und ein kalter Wind zieht durch. Auch meine Zigarette will nicht wirklich angezündet bleiben, also werfe ich sie weg. Ein letzter Schluck vom Bier und dann stecke ich die Dose zurück in meinen Rucksack. Ist doch Pfand drauf.