Samstag, 12. März 2011

Asche und Kettensägen

Es war ein schöner Tag Ende Februar. Tatsächlich war es der erste wirklich Schöne dieses Jahr. Die Schneefälle der letzten Woche hatten sich als Sparwitz seitens Frau Holle entpuppt und Platz gemacht für ein angenehm mildes Klima, Sonnenschein und einen nicht allzu kühlen Wind, der jetzt friedlich durch Baumspitzen, Wiesen und Aschenbecher wehte und die Frühlingsluft mit dem unbestimmten Gefühl von aufkeimendem Leben und kleinen Aschestückchen anreicherte. Der Zweitaktmotor der zwei Grundstücke weiter brüllenden Kettensäge verströmte seinen unverkennbaren Duft, aber auch dieses kleine, benzingetriebene Stück Störsamkeit, das ihn vor einigen Minuten aus dem alkoholinduzierten Schlaf gerufen hatte konnte Frank die gute Laune nicht verderben, die er angesichts der Schönheit dieses Tages empfand. Er lag auf dem Balkon seines Vorstadtapartments in einem von den Jahren weichgesessenen und inzwischen noch viel bequemeren Liegestuhl und atmete abwechselnd Frühling, Zweitaktabgase und THC-haltigen, leicht im Hals beißenden Rauch ein. Auf der anderen Seite der zum größten Teil gläsernen Balkontür verrieten ein leises Poltern und ein halbherzig unterdrückter Fluch, dass Pete sich soeben zum zweiten Mal den Fuß an dem kleinen Tisch gestoßen hatte unter dem er die Nacht verbracht hatte. Kurz darauf flog die Tür auf und ein zerzauster, verschlafener Pete ließ sich mit so genau dosierter Wucht auf seinen der beiden Liegestühle fallen, dass dieser zwar bedrohlich knackte, das Panzertape an seinem Bein jedoch keine Anstalten machte nachzugeben. Als sei das Auftauchen dieses rüde geweckten Kolosses ein allgemeines Zeichen für Flucht, ließ der Wind nach und die Aschepartikel sanken vor dem Balkon zu Boden. Auch die Kettensäge verstummte und hinterließ eine Art akustisches Loch, mit dessen Bewältigung Franks betäubtes Gehirn erst ringen musste. Kurz hatte er das Gefühl gehabt, jedes Geräusch werde von der plötzlich entstandenen Leere angesaugt und verschluckt, wie Materie von einem Schwarzen Loch. Dann nahm das leichte Rascheln von im Wind wogenden Nadelbäumen wieder an Intensität zu und das akustische Gleichgewicht war wiederhergestellt. "Wie warsn gestern Abend?", nuschelte Pete und ließ einen nach Mentholkippe stinkenden Rauchring eine kurze Flaute erforschen. Der Ring zerfaserte sich und wurde schließlich vom nächsten Windstoß erfasst und löste sich auf. "Du warst doch dabei.", erwiderte Frank ohne den Blick von einem Punkt in sehr, sehr weiter Ferne abzuwenden. Ein weiterer Ring. "Naja, schon, aber du ja auch und deshalb dacht ich, du kannst mir das vielleicht sagen." Hätte Frank das hilflose Gesicht zu seiner Rechten gesehen, hätte er vermutlich laut aufgelacht, aber sein Blick blieb nach wie vor schnurgeradeaus gerichtet, auf etwas, das nur er selbst sehen konnte, als denke er über etwas nach, über das normale menschliche Gehirne aufgrund ihrer mangelnden Kapazität nicht nachdenken können. Langsam antwortete er: "Ich hab keine Ahnung. Absolut keine Ahnung. Und aus irgendeinem Grund gefällt mir das wirklich gut so. Irgendwo im Internet hab ich mal was gelesen, wo jemand dieses Gefühl beschrieben hat. Ich fand das so cool damals. Ich glaub sogar ich kanns noch auswendig..." Und er fing an zu zitieren.

"Ich fühle mich klein. Bin verkatert, wie nach dem Zurückfinden in die Wirklichkeit nach einem Rausch, in dem Moment, in dem gerade die Sonne aufgeht und alles in rotes Licht taucht. Der Moment, in dem man realisiert, wo man ist, wer man ist... Man fragt sich, wer die Person neben sich ist, oder wer der Typ ist, der in der Küche steht und Kaffee kocht... Die Frage nach dem Geschehenen kommt auf... vergeht wieder... wird gestellt... nicht beantwortet... Man nimmt einfach hin was war... was sein wird... Ob es eine Bedeutung hat, oder nicht, es ist da und lässt sich nicht löschen. Einzig die Art damit umzugehen ist immer anders. Manchen ist es egal, manche machen Witze, andere spekulieren, wieder andere bedauern. Ich genieße das Gefühl... Das Gefühl, zu wissen, dass da etwas ist, aber nicht, was es ist... Das Gefühl, das von allem schließlich zurückbleibt..."

1 Kommentar:

  1. Ein sehr schöner Text. Man bekommt, so wie du die Geräusche beschrieben hast noch mehr Lust auf den Frühling. :-)

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