Donnerstag, 25. August 2011

Sterne

Da ist sie wieder, die Sehnsucht nach dem Unerlebten. Es heißt, man könne etwas nicht vermissen wenn man es nicht kennt. Bullshit. Warum sitz ich denn hier, mit ner unangezündeten Kippe in der Fresse, mit eingeschlafenen Armen, und starre in die Sterne. Bestimmt nicht weil sie so schön sind. Sondern weil sie ein Symbol sind. Ein unzureichendes, kleines, popeliges, nicht mal halbwegs befriedigendes Symbol, aber das einzige das ich habe. Die einzige Rechtfertigung, die ich der in Hut und Mantel von dannen ziehenden Gelegenheit hinterherschmeißen kann.
Ich kann mir doch auch nicht einfach einen Stern aussuchen und hinfliegen. Und wenn ichs könnte, dann würde ich nicht. Wäre ja loco. Bescheuert. Naja, und wenn man der Wissenschaft glauben kann, dann haben die Sterne ja auch längst Hut und Mantel an und verpissen sich. Und trotzdem lieg ich hier, die kribbelnden Arme von mir gestreckt, die unangezündete Kippe im Mundwinkel. Auf Asphalt. Und starre in den schwarzen Himmel mit den kleinen weißen Funkeldingern. Irgendwann werd ich mir nen Stern aussuchen. Hut und Mantel hab ich ja schon. Dann ist nichts mehr Bullshit und nichts ist loco. Dann ist alles drin.
Alles.

Mittwoch, 24. August 2011

Wolfs Jersey-Theorie

Also okay, wir saßen mal wieder an einem Mittwoch in der "Endstation",
unserer Stammkneipe. Eigentlich hatte ich Frühschicht und musste um vier
aufstehen, jedoch habe ich meist nur eine Motivation am Sonntag und Montag
um 10 oder so ins Bett zu gehen. Mittlerweile war es halb zwölf und Moni,
unsere Barfrau, brachte uns drei weitere Pils an den Tisch. Die Gespräche
der letzten paar Stunden waren für Kneipenverhältnisse recht vielschichtig.
Von Drogen über Politik bis hin zu Filmen. Jedenfalls glaubte ich, eine
Vielschichtigkeit irgendwo erkennen zu können.
Irgendwann kamen wir zu dem Thema Einsamkeit, Weltschmerz und Hoffnung in die
übriggebliebene Menschenmeute, die sich nicht nach diesem ganzen Trend-scheiß
richtet. Nachdem wir sämtliche gegenwärtigen Typen durchgekaut hatten, kam
Wolf zurück vom Pissen und setzte sich wieder in unsere kleine Runde. Er zündete
sich wortlos einen Cigarillo an und atmete tief und lang ein.
So etwas wie ein Zeichen, das er etwas mehr, als lediglich ein paar Sätze und Konter
zu bieten hatte.
"Also ich möchte euch jetzt mal etwas erzählen.", begann er:
"Ihr kennt doch alle den Film 'Dogma', oder? Da gibt es am Anfang diese Stelle, an der
Ben Affleck mit Matt Damon am Flughafen sitzt und zu ihm meint, dass er es mag, wie die
Leute sich empfangen und sich freuen. Ich traf irgendwann einmal den Umkehrschluss und
dachte darüber nach, wie es den Menschen wohl ergeht kurz bevor sie fliegen.
Also setzte ich mich einfach mal an den frankfurter Flughafen und studierte die Leute.
Ich hatte den Nachmittag eh frei und fuck, was sollte ich sonst machen?"
Die Geschichte schien wohl doch eine Längere zu werden, demnach bestellte ich mit einem
dezenten Fingerzeig noch eine Runde für die kleine Gruppe, frumelte mir eine Pall Mall rot
aus der 5-Euro-Packung und steckte sie mir unangezündet in den Mund.
"Da war gar nix, ein wenig Freude, aber viel Angst. Und auf jeden Fall eine Menge an Leuten,
die einfach so allein da saßen. Total frustrierend also. Etwa zehn Meter von mir entfernt
saß eine Studentin. Ein wenig auf ihrem Laptop herumklimpernd, aber dennoch stillschweigend
auf ihren Flug wartend. Ich kann euch heute nicht mehr sagen, weswegen ich das tat, jedoch
setzte ich mich einfach so zu dem Mädel und fing ein Gespräch an.
Ich: 'Hallo.'
Sie: 'Hi.'
Ich: 'Wohin fliegst du?
Sie: 'Erfurt.'
Ich: 'Na hast du denn niemanden, der dich hier her bringt?'
Sie: 'Nee, keine Ahnung, alle im Stress...'
Ich: 'Das doch scheiße...'
Ihr Flug wurde ausgerufen und sie stand auf. Ich im gleichen Moment auch.
Sie fragte mich noch, ob ich auch mit diesem Flieger Frankfurt verlassen würde.
Ich verneinte und umarmte sie einfach still mit den Worten 'damit du wenigstens beim weg-
fliegen das Gefühl hast, dich hätte jemand hier her gebracht und wird dich auf diese un-
bestimmte Zeit vermissen.' Sie lächelte und wandte sich dann ab, um in ihren Flieger zu steigen.
Ich hab' keine Ahnung ob ihr das irgendwas bedeutete, aber in dem Moment war es, als hätte
ich einen Menschen tatsächlich glücklich gemacht. Auch wenn es nur für einen Moment war."

Dann hielt Wolf inne und zog sich verbal wieder in den Hintergrund zurück, während sich
der Rest über Kevin Smith-Fiölme unterhielt. Wenn ich ihn flüchtig anschaute und in seine
melancholisch blickenden Augen sah, sah ich, dass diese Umarmung für ihn viel mehr Wert hatte,
als der zuhörende Stamm glaubte. Vielleicht viel mehr, als diese damalige Frau glaubte.
Ich exte mein Bier, stand leicht torkelnd auf, fest in dem Bewusstsein dass diese dreieinhalb
Stunden bis um vier zum Schlafen reichen und machte mich auf den Heimweg.
Unterwegs schrieb ich Wolf noch eine SMS mit dem Inhalt "Auch dein Flieger kommt irgendwann."
Erst am nächsten Tag erhielt ich die Antwort. "Danke."

Montag, 8. August 2011

Verregnet

„Laut den örtlichen Behörden von Tuba City, Arizona gab es bei dem Brand in dem Highway-Restaurant keine Überlebenden.“ – Die Nachrichtensprecherin schaute kurz auf ihre Notizen. – „Es wird vermutet, daß der Brand von den zur Zeit meistgesuchten Verbrechern der Vereinig- ...“ An dieser Stelle schaltete ich das TV-Gerät ab und streckte mich auf der Couch. Die Chipstüte am Fußende fiel raschelnd und knisternd herunter, verstreute ihren Inhalt auf dem Fußboden. Ein kurzer Anflug von Ärger, den ich jedoch sofort wegdrückte, überkam mich. Ich stand auf und räumte das Gröbste weg. Dann beseitigte ich den Rest.
Es regnete eigentlich schon den ganzen Tag und dabei wollten Liz und ich uns eigentlich mit Tripp, Pete und Frank treffen. Ich schaute auf mein Mobiltelephon und legte es wieder fort. Ich gähnte und streckte mich wieder, rieb mir die Augen mit den Fäusten. Während ich so da saß packte mich immer mehr Langeweile. Am liebsten hätte ich mich wieder ins Bett gelegt, aber das wurde komplett von Liz beansprucht und sie mochte es gar nicht geweckt zu werden, also ließ ich sie schlafen. Ich rollte mir fix eine Zigarette und begab mich auf den Balkon um sie zu rauchen. Ich trat durch die Tür hinaus und sogleich trafen mich kleinste Tropfen feuchten Nieselregens. Das störte mich aber nicht. Ich kramte in meiner linken Hosentasche und dann in der rechten, nur um schlußendlich in meiner Sweaterjacke ein Feuerzeug zu finden. Unglaubliche Verpeiltheit. Ich zündete die Zigarette an und tat den ersten Zug. Bittersüßer Rauch quoll meinen Rachen hinab und füllte meine Lungen. Kurz hielt ich ihn ein und stieß ihn dann wieder aus. Der leichte Wind trug die Rauchwolke fort und der Regen zerstieß sie; bis sie nicht mehr erkennbar war vor dem Hintergrund des Grauen Himmels.
Etwas strich über meinen Rücken. Ich drehte mich um.
„Hey Süßer.“ säuselte Liz und lächelte mich verschlafen an.
Sie kam langsam auf mich zu lehnte sich an mich und bewegte meine Zigarettenhand zu ihrem Mund um selbst einen Zug von der Zigarette zu tun. Sie genoß es richtig.
„Hast du gut geschlafen?“
„Hervorragend!“
„Wunderbar.“
Ich streichelte durch ihr Haar und roch daran. Sie trug ein Aroma an sich, das mich dahinschmelzen ließ.
„Was ist mit dem Treffen heute?“ fragte sie leise.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich absagen und wir schauen einfach einen Film oder machen irgendwas anderes drinnen … das Wetter kotzt mich sowas von an heute.“
„Ach Quatsch, Wolfi! Wir machen das. Laß dir nicht vom Wetter die Laune nehmen.“ antwortete sie viel wacher, als sie eben noch war.
„Na gut.“ sagte ich lächelnd.
Sie drehte sich um, wackelte einmal kurz mit ihrem teuflisch heißen Hintern und ging wieder in das innere der Wohnung. Ich konnte mir ein gigantisches Grinsen nicht verkneifen. Das war immer so, wenn sie das tat.
Als ich aufgeraucht hatte ging ich ebenfalls wieder hinein. Vor dem CD-Regal blieb ich stehen und nahm blind eine hinaus. Eine halbe Minute später ertönte Carry On Wayward Son von Kansas durch die Wohnung und hob meine Stimmung noch einmal erheblich.