Dienstag, 24. Mai 2011

2-face

Ich stehe auf. Der Tag hat längst begonnen, Sonnenlicht mischt sich mit weißgrauen Wolkenschleiern und fällt vom Himmel. Ich bekämpfe den allmorgendlichen Kotzreiz mit einigen Zügen frischer Luft. Spüre wie der Dreck der Nacht aus meinen Lungen getragen wird und sich in unsichtbaren, stinkenden Schwaden mit dem Wind hin und her bewegt. Ich stelle mich vor den Spiegel und starre mir selbst in die Augen. Sie glitzern. Ein Melodramatiker hätte dieses Glitzern als ungeweinte Tränen bezeichnet. Meine Haare stehen nach allen Seiten ab, wie jeden Morgen. Aber nicht in der kruden Ästhetik des Punk, sondern in der abstoßenden Nicht-Ästhtetik meiner Person. Hektisch entferne ich die gröbsten Knoten, versuche Ordnung zu bringen in diese strähnige, mich anwidernde Unordnung. Ich schaue an mir herab. An dem maroden, mit unsauberer Haut überzogenen Knochengerüst. Und ekele mich vor der Art, in der Knochen und Sehnenstränge deutlich sichtbar ein Muster zeichnen. Ein Muster, das Minderwertigkeit bedeutet.

Ich stelle mich unter die Dusche. Lasse heißes Wasser auf mich niederprasseln, bewegungslos, erstarrt in der Hoffnung, das Wasser werde mich auflösen und mitnehmen auf seinem Weg in die Kanalisation, langsam abkühlend und schließlich in einem Becken voll wässeriger Scheiße landend. Der Gedanke, dass ich das Becken voller Scheiße schon erreicht haben könnte, reißt mich aus der Starre und ich beginne, mir den sich stetig ansammelnden Dreck meiner bloßen Existenz vom Körper zu reiben, zusammen mit kleinen Hautstückchen. Dünne, blutige Wasserfäden bilden einen flachen Strudel zwischen meinen Füßen.

Ich trete aus der Dusche, wische mit der Hand über den beschlagenen Spiegel und betrachte mich. Meine Augen glitzern nicht mehr wässrig, sondern strahlen ein wunderschönes Braun in die Welt, kein Knoten und keine abstehende Haarsträhne stört die perfekte Ich-Ästhetik. Nacheinander spanne ich die sich leicht unter der Haut abzeichnenden Muskeln an. Zufriedenheit durchströmt mich, Freude, und ein unbeschreibliches Gefühl von Sieg und Niederlage zugleich.

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