Donnerstag, 10. Juni 2010

Sleep.Mode XIV - Date

„Weiß ich nicht.“, flüstere ich in Josies Ohr.
„Ich hatte so eine stinknormale Kindheit in der Mittelschicht. Intakte, liebevolle Familie, bla. Mein Fachabitur gemacht und dann ein BA-Studium bei der Deutschen Bank angefangen. Ich meine, ich war echt gut in diesem Zahlenmist. Aber im Grunde genommen hab ich das alles dort gehasst. Ich wollte irgendwie da raus. Nun bin ich das ja eigentlich. Doch ich weiß nicht so recht, ob es das ist, was ich mir vorgestellt habe.“
„Hast du 'ne Freundin?“
„Ich glaube sie ist auch schon wahnsinnig geworden. Sie wohnte in Thüringen, da wo ich ursprünglich her komme.“
„Merkt man.“
Ich reiße mich aus meiner Erzählerapathie und schaue Josie verdutzt an.
„Wie meinst'n das jetzt?“
„Na dass du aus Thüringen kommst, das merkt man. Deine Stimme eben. Wenn wir Wörter mit 'er' beenden, hört sich das bei dir irgendwie wie 'or' an. Es klingt ein wenig sächselnd.“
„Na super.“
„Supor.“ antwortet sie und ich sehe sie zum ersten mal lächeln. Für eine Millisekunde bekomme ich so etwas wie Gänsehaut.
„Du bist doof.“
Ich hätte nicht gedacht, dass man in so finsteren Zeiten doch noch eine Person findet, mit der das alles erträglich wird. Würde man nicht die ganze Zeit die schreiende, stöhnende Meute ein Stockwerk unter sich hören, weil man mit seinen Gesprächen mindestens hundert von den Irren angelockt hätte, dann könnte man die Situation fast schon als Date zählen. Die Taschenuhr zeigt 22:31 Uhr. Es ist noch ewig hin, bis die Sonne wieder aufgeht.
„Also, wie verfahren wir jetzt weiter, Mr. Banker?“
„Keine Ahnung. Ich gehe nicht davon aus, dass es irgendwo einen freien Bereich gibt. Wir müssen uns einfach auf die Suche nach anderen machen und so einen Bereich erst einmal herstellen.“
„So etwas, wie ein Schloss?“
„Kann man so sagen, ja. Am besten irgend ein Haus mit hohen Mauern und Solarpanels auf dem Dach. Falls irgendwann der Strom abgestellt wird, haben wir ein Problem.“
„Ich möchte nicht weiter in der Schule hier abhängen. Ich muss dringend auf die Toilette und Duschen wäre auch mal nicht schlecht.“
Duschen ist eine gute Idee. Ich versichere ihr, dass wir morgen einen Wellness-Tag machen und sie lächelt erneut. Dann legen wir uns zusammen in meinen Schlafsack und versuchen die Nacht schlafend zu überleben.

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