Sonntag, 13. Juni 2010

Sleep.Mode XV - Das Sleep.Mode-Syndrom

Früher war es für mich immer ein tolles Gefühl wenn ich unter der Dachschräge meines Zimmers lag und den Regentropfen zuhörte, wie sie auf die Scheibe prasselten. Als um etwa 2:00 Uhr nachts dieses gleichmäßige Schlagen der Tropfen einsetzte und Josie sich neben mir im Schlafsack ein bisschen bewegte, ihren Körper ein meinem striff und tief ausatmete, hatte ich für einen Moment diesen gesamten Scheiß vergessen.

Ich liege hinter ihr, mein linker Arm auf ihren Bauch gelegt und der rechte Arm weiß nicht wirklich, was er tun soll. Ich sah es schon immer als eine der bedeutenderen Fragen des Alltags an, was man denn mit dem anderen Arm macht. Wenn man ihn unter die Frau legt, ist das unbequem für sie und der Arm schläft irgendwann ein. Wenn man ihn über den Kopf nach oben legt oder unter sich selbst ist es das gleiche Spiel. Ich drehe mich von ihr weg und ziehe eine Kippe aus der Brusttasche meines Hemdes. Die Taschenuhr zeigt 2:47 Uhr. Mit etwa 3 Stunden Schlaf war ich eigentlich besser dabei, als die letzten Tage, zumal er erholsamer war, als zu den Zeiten auf dem ersten Dachboden. Ich richte mich auf und zünde die Zigarette an. Es regnet immer noch wie verrückt und die Luft auf dem Dachboden kühlt allmählich ab. Der muffige Geruch von nassem, alten Holz und staubigen Schulmaterial füllt diesen langgezogenen Raum vollkommen aus. Übermorgen finden wir Zoe. Ganz sicher.

Ich höre Schritte auf dem Dach und hole leise meine Waffe aus meinem Rucksack. Technisch gesehen müssten noch fünf Schuss in der Walther sein. Als ich noch einmal hinab auf Josie schaue, sehe ich, wie sie bereits mit offenen Augen und entsicherter Waffe in der Hand da liegt und mich ansieht. „Kopfschuss ist nicht notwendig, aber am sichersten.“, flüstert sie zu mir und ich nicke. Wir schleichen beide vor das Fenster und warten auf ein Gesicht. Hoffend, dass es noch normal ist. Die Schritte sind ungleichmäßig. Entweder ist es einer dieser Wahnsinnigen oder ein Mensch, der sich die Füße gestaucht oder gebrochen hat. Letzteres ist zu unwahrscheinlich, das wissen wir beide. Die Regentropfen fallen noch immer in ihrer unregelmäßigen Regelmäßigkeit auf die Fensterscheibe und die Sterne scheinen durch das Wasser verschluckt worden zu sein. Ich atme langsam. Josie irgendwie gar nicht. Ich höre kein Geräusch von ihr. Wir haben keine Angst, so viel ist sicher. Doch jede dieser Aktionen kann nur noch mehr Irre anlocken. Es ist sowieso nicht logisch, warum unter uns keine mehr von diesen Scheißviechern sind. David meinte damals, dass sie ewig ausharren können, insofern sie keine andere Fährte aufnehmen. Irgendetwas muss die unter uns abgelenkt haben. Ich weiß nicht, ob Josie in diesem Moment das gleiche denkt, ob ihr Kopf frei ist oder ob sie komplett andere Gedanken gerade hat.
„Woran denkst du gerade?“
„Dass ich früher nie bei Regen unter einer Dachschräge schlafen konnte, weil ich nicht wusste, was da auf dem Dach ist, weil man durch den Regen keine anderen Geräusche mitbekommt. Jetzt, wo ich weiß, dass da oben ein Sickman ist, gibt mir das eine eigenartige Ruhe.“
„Du nennst sie Sickman?“
„Jop. Finix, der Typ aus Ohio nannte die immer so. Also in Amerika sind die Sickmen auch schon am Zivilisation ausrotten.“
Meine Waffe fällt mir fast aus der Hand, als sie von anderen Menschen spricht. Wie viele sind es noch? Hoffentlich genug, um wieder eine kleine Stadt oder so etwas gründen zu können.
„Wo hast du mit ihm gesprochen?“
„ICQ. Wir haben früher schon Kontakt durch so ein Online-Rollenspiel gehabt. Als ich noch in Tempelhof war schrieb er mir, dass er sich in seinem Farmhaus mit seinem Laptop verschanzt hat. Bis sein Akku aufgab, war er durchgängig online. Dann kam kein Lebenszeichen von ihm. Zwei Tage später fing es bei uns in Deutschland dann auch damit an.“

Ich erinnere mich an die Zeit. Die Bild-Zeitung war voll mit den Nachrichten über diese Seuche. Sie nannten sie Sleep.Mode. Ein Pressesprecher von einem Labor in Ohio gab dem Wahnsinn diesen Namen. Er meinte, dass die Menschen wie Schlafwandler sind. Nur eben aggressiv. Sie wissen einfach nicht mehr was sie tun. Einen Tag später stand in allen deutschen Zeitungen, dass in Frankfurt der erste Wahnsinnige gesichtet und zu Testzwecken eingesperrt wurde. Dann hörte man nichts mehr. Die letzten Ausgaben vom 19.04.2007 liegen noch immer in allen Tankstellen, Supermärkten und Hotels.

Der Regen hört auf, die Schritte nicht.
Wir wissen, dass jemand da oben ist. Und der Jemand da oben sicher auch, dass wir hier unten sind. Er lauert. Wartet. Jenseits und Diesseits des Dachbodenfensters ist man auf die Kollision vorbereitet. Wie in Trance gebe ich Josie einen Kuss auf die Wange und klopfe gegen das Fenster.

1 Kommentar:

  1. Wuaah du weißt ja wie sehr ich es mag. Und maaaan ich muss unbedingt mal wieder nen neuen Teil von Sleepmode lesen. Vllt komm ich die Woche noch mal vorbei oder so =)

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