Samstag, 20. März 2010

I got what I came for

Vor mir auf der rechten Spur taucht ein blau-silbernes Auto mit Blaulichtanlage auf dem Dach aus der Dunkelheit auf. Die Blaulichter hinter mir sind immer noch im Rückspiegel zu sehen, kommen aber nicht näher. Vor mir blitzt ebenfalls das Blaulicht auf, der BMW huscht zwischen zwei Kleintransportern hindurch auf die linke Spur vor mich und will mich ausbremsen. Ich schieße in dieselbe Lücke, von da aus knapp hinter einem LKW vorbei auf den Standstreifen und trete das gummibezogene Metall bis zum Wagenboden durch. Die ESP-Warnleuchte blinkt kurz auf, dann greifen die Reifen und der 5,2-Liter-V10 tritt mir mit über 500PS in den Rücken und drückt mir buchstäblich die Luft aus den Lungen. Schnell bleiben die blauen Männchen hinter mir zurück und ich steuere den Audi zurück auf die linke Spur. Die Welt rast jetzt mit fast 300 Sachen an mir vorbei und ich bin mir sicher, dass ich hier noch nie war. Ist ja aber auch egal, diese Amokfahrt wird sowieso bald an einer Straßensperre ein würdiges und vor allem lautes Ende nehmen. Meiner Meinung nach die einzig denkbare Möglichkeit, eine solche Fahrt zu beenden. Hoffentlich kann ich noch den Sonnenaufgang sehen. Ich warte auf einen Streckenabschnitt ohne Verkehr und nehme kurz die rechte Hand vom Lenkrad um nach der 5,0-Dose im Fußraum zu angeln. Ich finde sie, öffne sie mit einer Hand und achte dabei darauf, dass der gut geschüttelte Gerstensaft nicht auf die Windschutzscheibe spritzt. Ein großer Schluck, dann noch einer. Ich stelle die Dose in den Getränkehalter und fahre mit grellgelb leuchtender ESP-Leuchte eine rabiate Ausweich- und Abdrängmanöverkombination gegen einen Möchtegern-Raser, der mit 220 oder so auf der linken Spur unterwegs ist. Im Rückspiegel noch das wütende Aufblitzen der Lichthupe, dann bin ich schon ganz woanders. Ich stelle mir das Gesicht des Prolls vor, wenn er gleich von vier oder fünf Streifenwagen zur Seite gepöbelt wird und muss grinsen...

Plötzlich spüre ich etwas an meinem linken Arm. Es fühlt sich an, als hätte ich mir das warme Bier drübergekippt, aber die Dose steht im Getränkehalter. Ich ziehe den Ärmel hoch und stelle fest, dass einige der tieferen Schnitte wieder angefangen haben zu bluten. Es wird höchste Zeit die Sache zu Ende zu bringen. Am Horizont wird der Himmel langsam heller. Noch eine halbe Stunde vielleicht, dann wird die Sonne aufgehen. So lange will ich noch weiterfahren, nur den Sonnenaufgang sehen, ein letztes Mal, danach könnte von mir aus auch die Welt untergehen. Aber noch nicht jetzt...

Die Sonne scheint mir inzwischen fett und rot direkt ins Gesicht, so dass ich nicht wirklich sehe, was vor mir ist. Nicht gerade die schönste Art einen Sonnenaufgang zu erleben, aber es muss reichen. "I got what I came for". Der Song geht mir jetzt nicht mehr aus dem Kopf, aber schlimm ist das nicht. Es ist ein guter Song, wenn man kurz davor ist, mit ordentlichem Krach abzutreten und genug vom Leben gesehen hat, um es nicht mehr leben zu wollen...

Vor mir erscheint die Straßensperre, ein glänzender Wurm, der sich quer über die Autobahn gelegt hat. Schon dreist, die ganze Autobahn dichtzumachen für einen einzelnen angetrunkenen Selbstmord-Amokfahrer. Aber gut, warum auch nicht, die Bild braucht ja auch mal wieder eine gute Story. Ein letzter Tritt aufs Gaspedal, ohrenbetäubender Lärm, und ein Schlag, den ich trotz seiner Wucht kaum noch mitbekomme...

Come take me anywhere,
Come take what's left of me,
I've already got what I came for...

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