Dienstag, 14. September 2010

Der Tag, an dem die Sterne schwanden

Als ich damals Nachts gegen um drei Uhr aufwachte, um in ein paar Minuten zu meiner Nachtschicht zu fahren, begab ich mich zuerst nach draußen. Um so eine Uhrzeit hat die Nachtluft etwas Klares, Erfrischendes und ich werde besser wach. Als ich dann so vor meiner Tür stand, sah ich, dass die Sterne verschwunden waren. Was soll denn das, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein! Es war nicht so, dass es bewölkt war. Nein, der Mond war immerhin noch da. Die Sterne aber waren einfach verschwunden, es war zappenduster. In Rage ging ich zu meinem Nachbarn und klingelte. Nach fünf Minuten wurde mir die Tür geöffnet. "Herr Jonas, was machen Sie denn für einen Radau?" - "Die Sterne wurden geklaut!" - "Ach, Sie haben doch wieder gesoffen!" - "Nein, habe ich nicht. Die Sterne sind weg. Haben Sie sie versteckt?"
Total sauer betrat mein Nachbar seine Veranda und traute seinen Augen nicht. "Das kann doch nicht... die sind wirklich weg!"
Mit meinem Nachbar im Schlepptau kämmte ich weitere Häuser ab. Erst die meiner Straße, dann noch ein paar weitere im Dorf. Keiner hatte die Sterne bei sich. So gegen Vier standen etwa 100 Mann auf dem Dorfplatz und jeder war empört über das Fehlen der Sterne. Da hörte man eine piepsige Stimme aus dem Schatten der Laternen: "Wollt ihr wissen, wo sie sind?" - "Wer ist da?", fragte der Bürgermeister. "Ich bin der, der euch des Nachts zudeckt und euch des morgens die Decke von der Himmelskuppel stiehlt. Die Sterne sind nichts weiter als Löcher in der Decke, durch die noch das Licht des Tages hindurchscheint." - "Wir möchten aber unsere Sterne wieder!", schrieen die Bürger unseres kleinen Dorfes. "Jaja, das dauert ein bisschen, bis ich wieder neue Sternenbilder gemacht habe, die ihr bewundern könnt. Ihr bekommt auch den Großen Wagen wieder. Versprochen."
"Da! Dort drüben!", schrie eine ältere Frau und wir richteten den Kopf nach links. Da sahen wir einen einzelnen kleinen Stern auf der Hauptstraße liegen. Er war wunderschön und schien in einem sanften Rot. Dann wurde er von einem Auto erfasst und zerstob in tausende von Glühwürmchen. "Du hast uns belogen!", riefen die Bürger. Da wurde die Stimme des Himmelsschmieds tiefer und er sprach laut und deutlich: "Womit habt ihr die Sterne verdient? Schaut ihr sie überhaupt noch an? Habt ihr sie nicht schon längst als etwas Alltägliches akzeptiert? Ihr verseucht den klaren Himmel mit euren Flugzeugen und Satelliten. Gebt den Sternen keine Chance zu leuchten, weil eure Städte nachts zu hell sind, alsdass man den Himmel in seiner vollendeten Schönheit sehen kann! Nur den Mond erwähnt ihr andauernd. Oder Sternschnuppen. Weil die ja so schön sind. Erst wenn ihr die Dunkelheit vor euch habt, vermisst ihr das Licht."
Und er setzte sich in sein Auto und fuhr davon.

Seitdem wird der klare Nachthimmel nur noch "Mondhimmel" genannt. Ganz selten hört man noch Leute über die Sterne reden. Aber sie werden weniger. Auch ich bin mittlerweile so alt, das ich mich nicht mehr an die Sternbilder erinnern kann. Aber das komplette Bild des damaligen Himmels, als ich ihn das letzte Mal sah, wird mir bis zu meinem Tod in Erinnerung bleiben. Ich glaube, das war das, was der Himmelsschmied wollte.

2 Kommentare:

  1. Das ist echt schön :) Danke, dass du noch mehr Geschichten dieser Art schreibst :)

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