Dienstag, 21. September 2010

Tag 28 oder 29

Die Frau, die fast wie aus dem Nichts vor uns erschienen ist, hätte auch aus einem Cyberpunk-Film der Neunziger stammen können. Die schwarzen Haare waren komplett zu einem unsauberen, nach vorne geschwungenen, etwa zehn Zentimeter langen Irokesenkamm aufgestellt, dessen Spitze eisblau durch die Dämmerung flammte, ihre Schminke war bis auf einige schwarze Streifen verschwunden (ich bin mir aber nicht sicher, ob die schwarzen Muster neben ihren Augen und der scharfe dunkle Schatten auf ihrer Wange nicht vielleicht Tattoos waren). Ihre Kleidung wirkte verschlissen, wie alles das seit fast einem Monat dem täglichen Gebrauch, dem Wind und dem Regen ausgesetzt ist, aber scheinbar hatte sie irgendwann die Zeit gefunden, den Klamotten ihren persönlichen Stempel aufzudrücken und sie zur Überlebensausrüstung zu machen. Der von Blutflecken übersäte, ehemals stumpfgrüne Militärmantel hatte einen eingenähten Rückenprotektor und einen hohen Kragen, passend zu den hochgestellten Haaren, auf den Stiefeln verbanden sich stahlblaue, silberne und eisblaue Flecken von Sprayfarbe zu einem Camouflage-Muster. Der linke Stiefelschaft verschwand unter der schwarzen, aus anscheinend sehr starkem Stoff gemachten Baggy-Hose mit den rostroten Flecken, das rechte Hosenbein war vom Knie abwärts nur ein hinter ihrem, von einer engmaschigen Netzstrumpfhose bedeckten Bein baumelnder Stofffetzen, aber auch in den Hosenbeinen waren improvisierte Protektoren vernäht.Die Teile ihrer Bewaffnung, die wir sehen konnten beinhalteten einen sehr wertvoll (und sehr gefährlich) aussehenden Compoundbogen samt Pfeilköcher und einigen Pfeilen, außerdem mehrere Messer und eine kleinkalibrige Handfeuerwaffe am Gürtel...

Es ist Tag 28 oder 29, ich weiß es nicht genau. Wir sind immer noch zu viert, Max, Tod, Wach, Ich. Wir haben ein Basislager errichtet, auf dem Dach eines drei Stockwerke hohen Gebäudes. Drei Igluzelte, eine gespannte Stoffplane als Regenschutz, eine kleine Feuerstelle und Stacheldraht rundherum. Bis jetzt sind wir hier sicher, vor allem da man ohne eine Leiter das Dach nicht mehr erreichen kann. Wir konnten vor etwa einer Woche drei besoffene Idioten dazu anstiften, das Treppenhaus per Sprengung unpassierbar zu machen. An diesem Abend beschlossen wir auch, auf dem Dach ein festes Quartier einzurichten, die unteren Meter der Feuerleiter zu entfernen und durch eine irgendwo mitgenommene Strickleiter zu ersetzen.

Die Angst, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben wird immer schwächer, teilweise spüre ich sie überhaupt nicht mehr. Langsam wandelt sich das Ganze zu einem großen Abenteuer, das aus Feiglingen Helden macht und aus dem puren Leben ein Spiel, das man jeden Tag ein bischen besser spielt.

2 Kommentare:

  1. Wow, du bringst dieses ganze post-apokalyptische Szenario samt Endzeitstimmung echt gut rüber. Genau wie Tag 10 war auch dieser Teil wieder sehr spannend zu lesen, ich freu mich auf mehr!

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  2. Das ist ja total spannend zu lesen! Gibt es noch weitere Teile davon? ... Würd mich nämlich interessieren, wie es weiter geht. :-)

    LG Yvonne

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