Montag, 6. September 2010

Zurück zum Thema II - der Moment um's Kilo

Ich war schon immer so ein Kleinkrimineller. Das hat mit elf Jahren angefangen, als ich in 'nem Rewe ein, zwei Kaugummis geklaut habe. Das mit dem Diebstahl war jetzt nie so das Ding für mich. Ich hab auch mehrmals meinen Eltern Kohle geklaut. Klar, wer tut das nicht. Aber ansonsten war das nicht so meine Sache. Professionell Laptops entwenden und die dann schwarz irgendwo verticken, nein. Das war viel zu anstrengend. Ich hab lieber in meiner Jugend da gesessen und Gras geraucht. Wenn man den Kram selbst verkauft, ist das gar nicht so kostenaufwendig. Man hat sogar noch ein wenig Kohle übrig, um sich eine schicke Ein-Raum-Wohnung zu finanzieren und ein optisch ansprechendes Mobiliar anzulachen. Auch Körperverletzung und Vergewaltigung war nie so das, was ich als kriminelle Akte vollzog. Im Großen und Ganzen beschränkte es sich doch schon auf den Verkauf von Gras und Shit. In kleinen Mengen. Nicht das ich das Zeug aus Holland importieren würde oder so etwas. Dafür hatten meine Oberticker immerhin ihre dummen Laufburschen oder "Driver". Ich war einmal in Groningen in so 'nem Laden namens "Upper 10", da hatte ich mir so ein vier Gramm Paket für 20 Euro gekauft. Der totale Reinfall, wie ich später im Hotel bemerkte. Ich hab's dann an meine unerfahrenen Käufer weitervertickt, als ich wieder in Deutschland war. Ein bisschen gestreckt und aus den drei Gramm etwa fünf gemacht. Oregano sei dank. Die wussten sowieso nichts damit anzufangen. Für acht Euro das Gramm. In gewisser Weise Plus gemacht, wenn man die Fahrtkosten ignoriert, die mir ja sowieso von meinem damaligen Arbeitgeber bezahlt wurden. Seitdem lass' ich das mit dem Pendeln und Gras kaufen. Dafür hatte mir damals Thomas einen guten "Driver" vermittelt. Der nahm 3.000 Euro für's Kilo. 2.500 davon bekam Thomas, die 500 waren dann für ihn. Durch meine sieben Euro Standart-Preis bekam ich eine gute Menge an Kohle hinein, was weiß ich, wieviel die kleineren Ticker, die das Zeug in 20 Gramm-Einheiten bei mir kauften dafür nahmen. Kurzum, ich war bis gestern glücklich mit meinem Leben.

Heute klingelt es an meiner Tür. Ich weiß natürlich, dass der "Driver" von Thomas da vor der Tür steht, frage trotzdem über den Sprechfunk, wer denn da ist. "Deine Pizza El Tonno.", sagt die heisere Stimme am anderen Ende der Leitung und ich drücke auf den Knopf, auf dem ein Sicherheitsschloss eingraviert ist. Etwa eine Minute später betritt der Typ meine Wohnung. Er sieht so aus wie immer. Schwarzer Nadelstreifenanzug mit beigefarbenen Hemd, ein Piercing in der rechten Unterlippe, genauergesagt ein Twister, also so ein Piercing, was zwei mal rum geht und aussieht, als hätte man zwei. Im Grunde genommen ist es einfach nur ein extrem gebogener Stab. Der Stab an sich ist silberfarben und die aufschraubbaren Enden werden von schwarzen, kegelförmigen Nieten verziert. Die Haare sind kurz geschnitten und überaus gepflegt. Thomas' Fahrer sieht aus, wie ein Typ, der in einer Provinzsparkasse arbeitet. Deswegen ist er wahrscheinlich so verlässlich.
"Komm rein.", sage ich zu ihm. Keine Ahnung, wie er heißt. Wir haben uns nie mit unseren Namen angesprochen und an meinem Klingelschild und Briefkasten steht lediglich "KEINE WERBUNG EINWERFEN!", da ich meine sämtliche Post zu meinen Eltern liefern lasse. Er betritt meine unaufgeräumte Bude und legt den Batzen Gras auf den Glastisch im Wohnzimmer. Ich ziehe wortlos die 3.000 Euro aus meiner Tasche, schöne, ungeknickte 500 Euro-Scheine und gebe sie ihm.
"Wie war dein Tag so?"
Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Fahrer mir eine außergeschäftliche Frage stellt. Der Typ beliefert mich seit zwei Jahren. Das einzige, was wir zueinander sagen ist "Hi." und "Tschüß." Aber naja. Vielleicht sollte man auch mal eine Bindung zu seinen Geschäftspartnern aufbauen.
"Naja ganz ok. Bin eben erst aufgestanden."
Es ist wohlbemerkt 14:37.
"Dann schläfst du aber ganz schön lang'."
"Ist ja auch Samstag."
"Darf ich mich setzen?"
"Sicherlich."

Er setzt sich auf meine Couch, öffnet sein Zigaretten-Etui und zieht einen fein säuberlich gedrehten Joint heraus.
"Ich gehe davon aus, dass du selbst in deiner Bude rauchst. Riecht extrem nach Glory hier. Von dem Zeug würde ich dir echt abraten. Da, wo ich das kaufe, hauen die Haarspray rein. Ist schwer, macht das Dope glitzernd und man schmeckts nur heraus, wenn die es übertreiben. Hier hast du den Kram, den ich für mich selbst kaufe, wenn ich in Eindhoven bin. Nennt sich 'N.Y.C. Diesel'. Recht sativa-lastig. Macht dir 'nen echt schönen Abend, wenn du den richtigen Turn hast. Ich lass dir mal ein Gramm hier.", sagt er und zündet sich seine Wundertüte an. Ich packe das Tütchen, welches er mir eben auf den Tisch schmiss in meine Zigarrenkiste mit dem Eigenbedarf und rolle mir eine Jolle mit meinem verbleibenden White Widow und biete ihm ein Bier an.
"Nee, lass'. Ich muss noch fahren und hab noch ne ganze Menge von dem Thai-Krams im Auto. Ich weiß auch nicht, warum Thomas so sehr darauf abfährt. Aber naja vielleicht denkt er einfach wirtschaftlich. Das Zeug is billig und knallt nicht so extrem. Da kommen manchmal die Kunden drei Mal am Abend wieder, weil keiner rum wird, hat er mal erzählt. Cola wär gut. Hast du?"
Ich flüchte in die Küche und mache dem "Driver" ein Glas voll Vita Cola. Dann ein Beck's aus meinem Kühlschrank.
"Bleibst länger? Da richt' ich mich drauf ein.", murmel ich zu dem Fahrer während ich ihm das Glas hin stelle.
"Naja bis spätestens Acht. Dann muss ich bei Mr. T auftauchen." Beim zweiten Satz, fängt er an zu kichern und nimmt noch einen beherzten Zug von seiner Tüte. Auch ich zünde mir meiner White Widow-Mische an und bringe die Sessellehne in eine entsprechende Chill-Position.

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