Samstag, 10. Juli 2010

Sleep.Mode XVII - Schmetterling

Die Zeit hängt irgendwo zwischen Sonnenauf- und Untergang. Obwohl es mitten im Mai ist, ist die Luft von feinen Tröpfchen durchzogen und jeder noch so minimale Windstoß lässt mich frösteln. Das Auto gab vor etwa zwei Tagen seinen Geist auf. Josie und ich Stapfen durch das Brandenburger Tor. Der Rücken der auf der Spitze sitzenden Schönheit ist von einem matten Grau überzogen. Um uns herum liegen abgenagte Menschen, verdurstete Sickmen und auf dem Boden sind Flyer verstreut. Der Anblick ist so apokalyptisch, wie man es sich für gewöhnlich in diesen Sci-Fi-Filmen vorstellt. Als hätte man wegen eines Atomkrieges die Erde evakuiert und wir sind Überlebende des Ganzen. Nur war dieser Krieg kein Atomkrieg. Es war eine Schlacht zwischen Mensch und Wahnsinn.
Wir passieren die Straße und dort, wo früher die Berliner Mauer entlangführte, liegt ein Schmetterling, dessen Flügel leicht im Wind dieses Tages zittern. Wortlos schauen wir uns an. Die anfängliche Angst ist dem Trauer der Einsamkeit gewichen. Meine Beine sind müde vom vielen Laufen und Josie weiß genau so gut, wie ich, dass wir die nächste Nacht nicht überstehen werden. Ihre makellose Haut weist schwere Verletzungen auf, die notdürftig mit Verbandszeug aubgedrückt werden. Ein Irrer hatte sie gestern in einer Seitengasse überfallen und bevor ich meine letzte Kugel durch seine Hirnrinde gleiten ließ, riss er ihr bereits mit seinen verdreckten, an manchen Stellen gebrochenen Fingern die Haut von den Armen. Vielleicht wird sie all das vergessen, wenn sie von den dünnen Fäden des Antilebens in eine andere Welt gezogen wird. Vielleicht wird sie auf mich schauen, weiter mit mir leiden. Ihre glasigen Augen bohren sich in die meinigen und hinterlassen eine Art von Schmerz, wie sie sonst nur in kitschiger Liebesliteratur beschrieben wird. Sie wird sterben. Allein dieser Satz, immer wieder in meinen Gedanken von Hirnhälfte zu Hirnhälfte rasend, blockiert mein restliches Denkvermögen und eine Träne presst sich aus meinem dehydrierten Körper, färbt sich vom dreckigen und staubigen Antlitz meines Gesichtes in ein braunes Tröpfchen Elend und bleibt in meinem ungestutzen Kinnbart hängen.
„Ich liebe Dich Banker. Verstehst du das?“
Sie flüstert mehr, als dass sie redet. Es hört sich wie das Säuseln des Windes an, wenn man glaubt gerufen zu werden, sich es jedoch nur einbildet. Denn dann verebbt der Wind und man hat wieder nur seine eigene Atmung, das Pulsieren seines eigenen Blutes, die Töne seiner eigenen, mittlerweile verhassten Stimme. Ich küsse ihr von Hämatomen überzogenes Gesicht.
„Josie, wir finden hierfür eine Lösung, das alles kann kein schlechtes Ende nehmen. Du kennst doch diese stumpfen Zombie-Filme. Dort wird am Ende auch alles gut.“
Sie schüttelt mit dem Kopf und lässt nichts weiter, als die Abdrücke ihres Mundes auf meiner Wange und einen leblosen Körper mit Einschussloch in der Schläfe zurück.

1 Kommentar:

  1. Es ist schön. Schön geschrieben, schön beschrieben und verursacht eine gewisse Gänsehaut ...

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