Mittwoch, 12. Mai 2010

A.D.:X - Sickmen

„Nein, ich fahre alleine, das hab ich schon immer so gemacht und das werde ich auch weiterhin tun.“ Der Kerl links neben mir am offenen Seitenfenster geht mir langsam auf die Nerven, und ein bisschen tut er mir auch leid. Er ist fast noch ein Kind. Aber ein Kind mit Mut, Ehrgeiz und einer Vision. Vor allem letzteres ist zwar selten geworden heutzutage, die meisten leben von einem Tag in den anderen und interessieren sich nicht dafür, was um sie herum geschieht, aber nichtsdestotrotz will und brauche ich keinen Begleiter. Ich bin eben ein Einzelgänger.
Ich starte den Motor, der Besitzer des Wagens hatte den Schlüssel im Zündschloss stecken gelassen. Es ist ein gutes Auto, ein Pick-Up-Modell von Ford, welches genau weiß ich nicht. Vermutlich allradgetrieben, wie amerikanische Pick-Ups eben sind, mit ansehnlicher Motorleistung und Geländegängigkeit. Der Typ tritt vom Wagen zurück und ich fahre los. Hier außerhalb der Stadt sind die Straßen weitgehend frei von Autos und nur stellenweise etwas mit Gestrüpp überwachsen. Nahezu optimale Bedingungen, um schnell voranzukommen.

Es ist inzwischen Nachmittag, ich sitze im Schatten des Wagens und drehe meine beiden Pistolen in den Händen, rechts die H&K P8, links die Desert Eagle Mark XIX. Ich weiß nicht, ob ich mich verfahren habe, oder ob ich die Dimensionen dieses Landes einfach nur unterschätzt habe und mich zwar auf dem richtigen Weg, aber noch Meilen vor meinem Ziel befinde. Was mein Ziel ist, kann ich momentan nicht sagen, es ist kein Wort, das es beschreibt, vielmehr ein Gefühl, ein Gemisch aus Farben, Formen und Geräuschen, aber auch keins von alledem. Wenn man so lange nur so wenige Menschen trifft, verlieren Worte an Bedeutung, dafür gewinnen Empfindungen und Bilder immer mehr die Oberhand über das eigene Denken. Ich würde bestimmt einen guten Künstler abgeben, einen Expressionisten, aber für wen würde ich meine Kunstwerke schaffen? Für eine verrückt gewordene Welt mit verrückten Menschen und anders verrückten Menschen. Das sind die beiden einzigen Arten von Mensch, denen ich seit langem begegnet bin.

Irgendwann heute Mittag habe ich einige Nomaden getroffen. Menschen, deren Häuser beim Beginn des Wahnsinns zerstört wurden und die seitdem in teilweise selbstgebauten, teilweise „gefundenen“ Trailern mit großen Zugmaschinen durchs Land fahren. Auf jedem Wagen war eine große Null zu lesen gewesen, als müssten diese Menschen beweisen, dass sie Menschen sind und immer bleiben werden. Sie sind wie ich Einzelgänger und lassen niemanden wirklich an sich heran. Der einzige Unterschied ist, dass sie eine Art Familie sind, dass sie sich untereinander brauchen. Aber was von dieser Familie nach außen dringt ist das gleiche, was ich dem Hänfling heute Morgen klargemacht habe. Sie sind autark, eigenständig, ein weiteres Mitglied hätte keinen Platz bei ihnen, würde sie behindern, sie schwächer machen. Einige von ihnen gehören sogar noch der ersten Generation an, den inzwischen selten gewordenen Zeugen des Anfangs der neuen Zeit.

Ich sehe mich um. Die Sonne berührt inzwischen fast den Horizont, ich war wohl so tief in meinen Gedanken versunken, dass ich die Zeit aus dem Blickfeld verloren habe. Rings um mich gibt es nichts, was mir Deckung und Schutz vor der Nacht bieten könnte. Also nichts, das eine Gefahr beherbergen kann. Ich entscheide, auf der Ladefläche des Pick-Ups zu schlafen. Ich befestige die Metallstange mit dem inzwichen nicht mehr wirklich weißen Tanktop mithilfe von etwas Klebeband am Auto, lege mich auf den Rücken und schaue in den sich langsam immer dunkler färbenden Himmel. Weit über mir leuchten die Kondensstreifen eines Flugzeugs rötlich am Himmel... Vielleicht ist es auch nur eine dünne Wolke... Egal. Jetzt weiß ich wohin ich fahre...

1 Kommentar:

  1. Ich sehe A.D.:X immer in Orange, während Sleep.Mode ja eher Grau und trist ist.
    Aber ihr beide Arbeitet grad so hart, das muß man einfach Loben, zumal die geschichten so stimmig und super zu lesen sind.

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