Samstag, 15. Mai 2010

---

Hier stehe ich. Im Regen. Wie sollte es auch sonst sein? Der Wind fährt mir mit eiskalten Klauen über Gesicht und Haare, beißt sich in meiner Kleidung fest und reißt mir den kleinen weißen Zettel aus der Hand. Ich versuche ihn wieder einzufangen, stolpere dabei jedoch nur über die Trümmer und Scherben, die überall auf dem Boden verteilt liegen und muss zusehen, wie das kleine Blatt Papier, hilflos im Wind taumelnd und tanzend, in die Schwärze der Nacht verschwindet. Der Regen tropft durch die Äste der Trauerweide auf meinen Kopf und meine Schultern. In einer der Scherben auf dem Boden erkenne ich ein Wesen, es erinnert mich an irgendetwas. Die Augen, rot von tausenden Aderrissen, rot wie erkaltendes Blut, schwarze Streifen darunter, Augenringe, schwarz wie die Augenhöhlen eines toten Tieres. Bleiche Haut, fast weiß, wie die Maden, die aus diesen Augenhöhlen hervorkriechen...
Der Wind macht keinen Umweg mehr um mich herum, er weht durch mich hindurch wie durch die klappernden Knochen eines an unsichtbaren Fäden aufgehängten Skelettes, einer Marionette deren Kreuz und Fäden ein grausamer Spielmann in den Händen hält. Durch die herabhängenden Äste sehe ich etwas weißes aufblitzen, ein Stück Papier, das Stück Papier und strecke meinen Arm danach aus, stürze darauf zu, greife es, doch es fällt durch meine Hände hindurch als wären sie nicht da, wirbelt davon und ich weiß, dass es nicht wiederkommen wird. Erschöpft und verzweifelt sehe ich ihm nach, bis es erneut und diesmal endgültig in der schwarzen Nacht verschwunden ist. Ich drehe mich um und erstarre. Dort am Stamm der Weide stehe ich selbst und winke mir ein letztes Mal zum Abschied...

1 Kommentar: