Dienstag, 25. Mai 2010

Sleep.Mode IX - eingeschweißte Totgeburten

Als ich das letzte mal auf meine Taschenuhr schaute, war es 03:06 Uhr. Seitdem habe ich nicht geschlafen. Ich sitze hier oben, wieder auf einem Dachboden und höre unter mir Geräusche, die ich nicht zuordnen kann. Wahnsinnige oder Menschen. Tiere oder schlichte Bewegungen. Nur dumpfes, immer wieder währendes Brummen in Kombination mit einem Wimmern, wie es diese Tankstellenhure tat. Ich habe Angst nachzusehen, denn ich weiß, wenn ich falsch liege, kann ich bis zu hundert dieser Bastarde am Arsch haben. Riechen sie mich? Können sie sich etwa in meine Situation hineinversetzen, lernen sie dazu? Allein die Tatsache, dass diese Wesen lernfähig sind und mich irgendwann mit einem Auto jagen könnten oder so etwas, lässt mir nicht nur einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Der Gedanke ist so abgefuckt krank, dass ich vor Angst einen extremen Harndrang verspüre. Ich sage mir, dass es jetzt sowieso egal ist und Pisse in einen Kanister, der mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt ist. Mir egal, ob es jetzt 1:50-Benzin für den Rasenmäher oder Brom für den Chemieunterricht ist. Auf dem Dachboden lassen sich nur sinnlose Sachen finden. Ausgestopfte Tiere, Embryos von Küken, Landkarten und Stahlfeilen. Was für eine scheiß Location, um zu Grunde zu gehen. Das Gemurmel unter mir wird einfach nicht leiser, doch ich rede mir ein, dass die Verrückten sowieso nicht hier hoch kommen werden. Ich lege mich wieder zurück in meinen Schlafsack, verstaue meine Waffe unter meinem Kopf und drehe mich wieder auf die Seite. Wenn man die ganze Zeit paranoid an diese Viecher denkt, wird man zwar nicht genau so wahnsinnig, aber immerhin irre. Als es anfing, wurde meine Begleiterin auch immer paranoider, bis sie sich irgendwann in dieser Berliner Kneipe anbrannte und raus in den Mob rannte. Dabei schrie sie genau so, wie die Bastarde, die sie zu fassen bekamen. Als es anfing... Viel zu viele Kleinigkeiten bleiben mir in meinem Kopf kleben bei dem Gedanken an die Anfänge der Seuche. Die allgemeine Geschichte ist eine weitaus komplexere, als man in erster Linie vermuten mag.

Ich schüttele die Gedanken aus meinem Kopf, ich schmeiße ihn förmlich von links nach rechts, als würde ich durch die Fliehkraft versuchen Wasser aus meinen Ohren herauszubekommen. Ein weiterer Blick auf die Uhr: 4:13. Ich setze meine Wollmütze auf, in der Hoffnung, dass sie die Geräusche von unten abdämmt und versuche weiterzuschlafen. Ich denke an die Frauen, mit denen ich schlief, an die Frauen, mit denen ich hätte schlafen wollen, an meine alten Freunde, meine Familie, sogar an meine verfluchten Goldfische. All das, was mir in den letzten Jahren immer half, mich aufzubauen, versuche ich in meinem Kopf anzustauen um es dann schlagartig loszulassen, Dämme brechen lassen, die mir scheinbar den Rest meiner Menschlichkeit nehmen. Klar empfinde ich noch Emotionen. Aber ich töte Menschen. Genau so, wie es die Wahnsinnigen tun. Das haben wir gemeinsam. Aber ich bin froh, dass es scheinbar das einzige ist, denn mehr Parallelen fallen mir auch nicht ein. Als ich an meinen alten Job bei der Deutschen Bank denke, ist es dann letzten Endes wirklich zu viel aus der Vergangenheit. Ich richte mich total unterpennt auf und schlage Seite 49 auf.

„Ackley?“, sagte ich. „Bist du wach?“
„Ja.“

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