Dienstag, 18. Mai 2010

Sleep.Mode VII - Hallo Zoe

15:00 Uhr. Ich bekomme Hunger. Mein Ohr hat aufgehört zu bluten und ich fühle mich wie Treibholz. Der Alkohol stumpft meinen Körper immer so ab. Ich halte vor einem Asia-Imbiss, lasse den Corsa laufen und verlasse das Auto. Ich weiß, dass ich in dem Imbiss nichts verwertbares mehr zu essen finde, aber ich brauche einfach für einen Moment festen Boden unter den Füßen. Ich laufe sinnlos um das Auto herum, betrachte es. Kein Kratzer, keine Blutflecken, es sieht aus, als hätte man es wie jeden Tag aus der Garage geholt und wäre damit zur Arbeit gefahren. Die Kinder auf dem Rücksitz, die Handtasche neben sich und im Kofferraum die Einkäufe. Der Kofferraum. Bisher habe ich nicht daran gedacht, nachzusehen, was da eigentlich drin ist. Ich öffne ihn und kann neben einem Ersatzrad und dem Sanitätskasten nur einen Rucksack vorfinden. Ich nehme den Rucksack mit nach vorn in das Auto und kann es mir nicht verkneifen, ihn zu durchsuchen. Es ist ein Rucksack von einem älteren Schüler. Mathe- und Biologiehefter stecken fein säuberlich darin. Ein Hausaufgabenheft, eine Art Tagebuch und J.D. Salingers Der Fänger im Roggen. In der vorderen Tasche ist eine Cola. Ich schraube sie auf und leere die Hälfte in einem Zug. Verdammt, ich habe ganz vergessen, wie geil die Brühe eigentlich schmeckt. Meine Freundin hat mich nie das Zeug trinken lassen. Immer sollte ich Orangensaft trinken. Bei dem Gedanken an sie empfinde ich stumpfe Überreste von Sehnsucht und Trauer. Doch irgendwie verliert sich der Gedanke rasch in Bedeutungslosigkeit. Es wäre mir im Moment egal, ob ich nun meine Freundin oder eine x-beliebige Prostituierte treffen würde. Hauptsache irgendwer, der normal ist. Das Hausaufgabenheft gehört einem Mädchen namens Zoe. Zoe würde nächste Woche auf Klassenfahrt nach Schliersee fahren. Mit ihren Freunden trinken, Spaß haben, vielleicht ihren ersten Beziehungspartner klarmachen, ihn küssen, mit ihm vor dem Mitternachtsprogramm von Pro7 kuscheln und einschlafen. Nun muss ich tatsächlich flennen, die Gewissheit, dass es nie mehr so wie früher wird, ruft ungemeine Traurigkeit in mir hervor. Wozu habe ich noch diesen Selbsterhaltungstrieb, wenn alles um mich herum wahnsinnig ist? Wieso lasse ich mich nicht von einem dieser Wichser schlachten? Scheinbar drehe ich ja nicht durch, Gott weiß, warum. Die Mündung der P7 streichelt wie von selbst meinen Rachenraum, Ich schaue durch die Frontscheibe auf die einzige Wolke am Himmel. Sie hat die Form einer Straßenlaterne. Ich kneife meine Augen zusammen, um meine Tränenflüssigkeit aus meinen Augen heraus zu quetschen und drücke auf den Abzug.

Nur um zu merken, dass sie nicht entsichert ist.
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2 Kommentare:

  1. Verdammt, mit dem Ende hast du mich grade echt schockiert o.O
    Schön gemacht mit dem versteckten Text^^

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  2. hahahahaaaaaa das ende und die reaktion von chris... :D
    du weißt ja, dass ich es mag. Und ich bin dann echt mal gespannt, falls er Zoe trifft, wie sie so drauf ist.

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